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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.11.2008
1 BvQ 43/08 -

Bundesverfassungsgericht hebt Verbot der Demonstration vom 8. November 2008 in Aachen auf

Das Bundesverfassungsgericht hat die für den 8. November 2008 angemeldete Demonstration "Gegen einseitige Vergangenheitsbewältigung! Gedenkt der deutschen Opfer!" unter Auflagen ermöglicht. Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts erging auf Antrag des Veranstalters gegen eine Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster, das ein komplettes Versammlungsverbot des Polizeipräsidenten Aachen bestätigt hatte. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen aufgehoben, die die Demonstration zugunsten der Versammlungsfreiheit mit der Maßgabe für zulässig gehalten hatte, dass der Veranstalter der Versammlung, der ein nationalsozialistisches Weltbild vertritt und propagiert, nicht selbst als Redner und als Versammlungsleiter auftritt. Dem Antrag des Veranstalters, die Versammlung nach der Maßgabe dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen zu ermöglichen, hat das Bundesverfassungsgericht entsprochen.

Die Versammlung konnte nicht aus Gründen der "öffentlichen Ordnung" verboten werden. Die Demonstration sollte in der zeitlichen Nähe des 9. November 2008, des 70. Jahrestag der Novemberpogrome des Jahres 1938, aber nicht genau an diesem Tag durchgeführt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach entschieden, dass die öffentliche Ordnung verletzt sein kann, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Gedenktag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigten. Es hat jedoch im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit stets klargestellt, dass aus der bloßen zeitlichen Nähe des Zeitpunkts der Versammlung zu einem solchen Gedenktag allein eine solche provokative Wirkung nicht abgeleitet werden kann.

Auch Gründe der "öffentlichen Sicherheit" konnten ein Versammlungsverbot als schwersten Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht rechtfertigen. Erforderlich ist nämlich stets eine auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende Gefahrenprognose. Hier lagen für ein Versammlungsverbot keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor:

Die strafrechtlich relevanten Vorkommnisse bei früheren Versammlungen waren keine hinreichend konkrete Tatsachengrundlage für die Erwartung strafbarer Volksverhetzung auch bei der Demonstration am 8. November 2008 und damit der Verletzung der öffentlichen Sicherheit. Jedenfalls hat das Oberverwaltungsgericht nicht hinreichend begründet, warum die Auflage, dass der Veranstalter nicht als Redner und Versammlungsleiter auftritt, zur Verhütung solcher Straftaten nicht ausreichen sollte. Auch wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Veranstalter bei einer Vielzahl von unter nationalistischen Mottos stehenden Versammlungen als Redner aufgetreten ist, ohne Straftaten zu begehen.

Auch das Motto und das Datum der Demonstration vom 8. November 2008 begründeten keinen ausreichenden Anhaltspunkt für die Annahme einer Begehung von Straftaten. Zwar lag die Annahme nahe, dass die zeitliche Nähe zum 9. November hier bewusst und auch gerade im Hinblick auf den 70. Jahrestag der Novemberpogrome des Jahres 1938 gewählt wurde. Auch mag das Motto im zeitlichen Zusammenhang mit dem 9. November aus Sicht einer in der Öffentlichkeit lange errungenen Geschichtsdeutung als moralisch verwerflich gelten. Meinungsäußerungen sind aber unabhängig von ihrer inhaltlichen "Richtigkeit" oder ihrem ethischen Wert grundrechtlich geschützt. Nicht tragfähig begründet erschien deshalb die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zu der Frage, inwiefern Motto und Datum der Versammlung eine Billigung und Verharmlosung der Angriffe auf die jüdische Bevölkerung am 9. November 1938 entnommen werden kann. Dabei war zu berücksichtigen, dass diese Angriffe durch Motto und Datum der Veranstaltung nicht ausdrücklich bewertet worden sind und mit der ausdrücklichen Ablehnung einer "einseitigen" Vergangenheitsbewältigung einer beide Seiten in den Blick nehmenden Geschichtsbetrachtung das Wort geredet wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Veranstalter weithin als Anhänger Adolf Hitlers bekannt ist, weil diese subjektive Einstellung im konkreten Fall mit dem Motto gerade nicht kundgegeben worden ist. Da das Recht nur äußere Gefolgschaft verlangt, können Ermächtigungen zur Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten nicht an die Gesinnung als solche, sondern stets nur an Gefahren anknüpfen, die aus konkreten Handlungen folgen.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 02.12.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 101/08 des BVerfG vom 02.12.2008

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