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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17.07.2009
2 BvE 3/07 -

BVerfG: Bundesregierung verhält sich verfassungswidrig gegenüber BND-Untersuchungsausschuss

Eingeschränkte Aussagegenehmigungen für Zeugen und das Verweigern von Informationen verletzen das Informations- und Untersuchungsrecht des Bundestages

Die eingeschränkte Erteilung von Aussagegenehmigungen und die Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen der Bundesregierung an BND-Untersuchungsausschuss war zum Teil verfassungswidrig. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht.

Seit dem Jahr 2004 und insbesondere im Jahr 2005 berichteten die Medien verstärkt über Tätigkeiten des US-amerikanischen und deutschen Nachrichtendienstes (BND) im Zusammenhang mit der Abwicklung von CIA-Flügen mit Terrorverdächtigen an Bord über deutsche Flughäfen. Außerdem gab es Meldungen über Tätigkeiten von BND-Mitarbeitern während des Irak-Krieges in Bagdad, der Verschleppung deutscher Staatsangehöriger oder in Deutschland lebender Personen durch US-Stellen und über die Beobachtung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst. Im Jahr 2005 befasste sich sowohl der Deutsche Bundestag als auch das Parlamentarische Kontrollgremium mit diesen Themen. Die Bundesregierung legte am 20. Februar 2006 dazu einen abschließenden Bericht vor, der vom Parlamentarischen Kontrollgremium bewertet und teilweise veröffentlicht wurde (BTDrucks 16/800).

Einsetzen eines Untersuchungsausschusses

Zur Klärung offener Fragen, vorzunehmender Bewertungen und gebotener Konsequenzen im Zusammenhang mit diesem Bericht beantragten die Fraktion der FDP, die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie eine aus drei Abgeordneten bestehende qualifizierte Minderheit des Bundestages (die Antragstellerinnen), die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Am 7. April 2006 beschloss das Plenum die Einsetzung dieses Ausschusses und beauftragte ihn im Wesentlichen damit, anhand konkreter benannter Vorgänge und Fragen zu klären, "welche politischen Vorgaben für das Handeln von Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Militärischem Abschirmdienst (MAD), Generalbundesanwalt (GBA) und Bundeskriminalamt (BKA) gemacht wurden, und wie die politische Leitung und Aufsicht ausgestaltet und gewährleistet wurde."

Hochrangige staatliche Interessen dürfen durch Aussagen keinen Schaden erleiden

Der Chef des Bundeskanzleramtes wies den Vorsitzenden des Ausschusses nach Aufnahme seiner Arbeit daraufhin, dass die Bundesregierung angesichts ihrer Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Untersuchungsausschussverfahren darauf achten werde, dass hochrangige staatliche Interessen keinen Schaden erleiden werden. Gleichzeitig erhoffe sie eine am Staatswohl orientierte Zusammenarbeit.

Zeugen wird nur eingeschränkte Aussagegenehmigung erteilt

Der Untersuchungsausschuss befasste sich zunächst mit den Komplexen der Verschleppung von E. und K. und vernahm dazu Angehörige und Beamte der Bundesregierung (Antragsgegnerin) und der ihr nachgeordneten Behörden als Zeugen. Wiederholt verweigerten die Zeugen unter Verweis auf eine ihnen nur eingeschränkt erteilte Aussagegenehmigung die weitere Aussage oder gaben auf Fragen der Mitglieder des Untersuchungsausschusses keine Antwort. Weiterhin verweigerte die Bundesregierung dem Untersuchungsausschuss mehrmals die Vorlage von Akten oder Aktenbestandteilen.

Beanstandung mangelnder Kooperation

Die Einschränkungen der Aussagegenehmigungen, die Ablehnung der Herausgabe der angeforderten Unterlagen und Organigramme und der dazu gegebenen Begründung haben die Antragstellerinnen mit ihren verschiedenen genau bezeichneten Anträgen im Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beanstandet.

Verhalten der Bundesregierung ist rechtswidrig

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die zulässigen Anträge überwiegend begründet sind. Die Bundesregierung (Antragsgegnerin) hat durch die Beschränkung der Aussagegenehmigungen für benannte Zeugen, durch die Auslegung dieser Beschränkungen und durch die Verweigerung der Vorlage von angeforderten Akten mit den hierfür gegebenen unzureichenden Begründungen das Informations- und Untersuchungsrecht des Deutschen Bundestages aus Art. 44 GG verletzt. Pauschales Berufen auf einen der verfassungsrechtlichen Gründe - wie den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung und Gründe des Staatswohls -, die dem parlamentarischen Untersuchungsrecht Grenzen setzen, genügt in keinem Fall.

Unzulässige Verkürzung des parlamentarischen Untersuchungsrechts

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Anträge sind überwiegend begründet, weil die Bundesregierung den Informationsanspruch aus Art. 44 GG in unzulässiger Weise verkürzt hat. Die in den Aussagegenehmigungen enthaltenen Einschränkungen in Bezug auf den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung und Staatswohlbelange und die anlässlich der Vernehmung der Zeugen zutage getretene Auslegung dieser Einschränkungen verletzen das Beweiserhebungsrecht des Bundestages. Auch die Auslegung der Aussagegenehmigungen, wonach Vorgänge aus der Präsidentenrunde und der Nachrichtendienstlichen Lage nicht von der Aussagegenehmigung erfasst sind, verkürzt in unzulässiger Weise das parlamentarische Untersuchungsrecht.

Durch die Einschränkung der Beweiserhebung sind die Rechte des Deutschen Bundestages und nicht nur die des Untersuchungsausschusses verletzt; denn der eingesetzte Untersuchungsausschuss übt seine Befugnisse als Hilfsorgan des Bundestages aus. Im Rahmen seines Untersuchungsauftrages darf er Regierungsmitglieder sowie Beamte und Angestellte im Verantwortungsbereich der Bundesregierung als Zeugen vernehmen und diejenigen Beweise erheben, die er für erforderlich hält. Auf die durchzuführenden Beweiserhebungen finden die Vorschriften der Strafprozessordnung sinngemäß Anwendung. Gehören die vom Untersuchungsausschuss zu vernehmenden Zeugen einem Personenkreis an, der einer besonderen Verschwiegenheitspflicht unterliegt, kann der Zeuge nur aussagen, wenn er eine u.a. auch eingeschränkte Aussagenehmigung hat.

Aussagegenehmigungen haben zu weitgehende Beschränkung

Die Bundesregierung ist vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Grenzen zur Erteilung einer solchen Aussagegenehmigung für Zeugen verpflichtet. Begrenzt wird die Verpflichtung allerdings zunächst durch den im Einsetzungsbeschluss zu bestimmenden Untersuchungsauftrag, der sich im Rahmen der parlamentarischen Kontrollkompetenz halten und hinreichend deutlich bestimmt sein muss. Im vorliegenden Fall enthalten bereits die Aussagegenehmigungen selbst eine zu weitgehende Beschränkung, indem sie „insbesondere Angaben über die Willensbildung der Bundesregierung im Kabinett oder ressortübergreifende und -interne Abstimmungsprozesse zur Vorbereitung von Kabinett- und Ressortentscheidungen“ pauschal von der Genehmigung ausnehmen.

Bei der Auslegung des erteilten Untersuchungsauftrages steht dem Untersuchungsausschuss und der Bundesregierung weder ein Ermessensspielraum noch eine Einschätzungsprärogative zu. Allerdings können sich Gründe, einem Untersuchungsausschuss Informationen vorzuenthalten, aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz ergeben.

Auch wenn sich die Kontrollkompetenz des Parlaments grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge erstreckt, gebietet der Gewaltenteilungsgrundsatz, dass parlamentarische Kontrolle wirksam sein muss. Dies wäre nicht der Fall, wenn die dazu nötigen Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen dem Parlament auch nach Abschluss der jeweiligen Vorgänge grundsätzlich verschlossen blieben. Dem parlamentarischen Zugriff können daher grundsätzlich auch Informationen aus dem Bereich der regierungsinternen Willensbildung unterliegen. Bei abgeschlossenen Vorgängen kann gegenüber einem Untersuchungsausschuss der pauschale Verweis darauf, dass der Bereich der Willensbildung der Regierung betroffen sei, die Zurückhaltung von Informationen nicht rechtfertigen.

Parlamentarisches Informationsinteresse

Die Berührung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung kann dem parlamentarischen Untersuchungsrecht in Bezug auf abgeschlossene Vorgänge nur nach Maßgabe einer fallbezogenen Abwägung zwischen dem parlamentarischen Informationsinteresse auf der einen und der Gefahr einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung durch die einengenden Vorwirkungen eines Informationszugangs auf der anderen Seite entgegengehalten werden. Die Notwendigkeit zwischen gegenläufigen Belangen abzuwägen, entspricht der doppelten Funktion des Gewaltenteilungsgrundsatzes als Grund und Grenze parlamentarischer Kontrollrechte. Dabei ist zu beachten, dass je weiter ein parlamentarisches Informationsbegehren in den innersten Bereich der Willensbildung der Regierung eindringt, desto gewichtiger das parlamentarische Informationsbegehren sein muss, um sich gegen ein von der Regierung geltend gemachtes Interesse an Vertraulichkeit durchsetzen zu können. Die vorgelagerten Beratungs- und Entscheidungsabläufe sind demgegenüber einer parlamentarischen Kontrolle in einem geringeren Maße entzogen. Besonders hohes Gewicht kommt dem parlamentarischen Informationsinteresse zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb der Regierung geht. Damit der Abwägungsvorgang und die eingestellten Belange überprüft werden können, ist eine substantiierte Begründung der Ablehnung erforderlich, wenn einem Ausschuss Informationen vorenthalten werden sollen.

Staatswohl darf nicht durch Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden

Eine weitere Grenze des Beweiserhebungsrechts eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses bildet das Wohl des Bundes oder eines Landes (Staatswohl), das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden kann. Das Staatswohl ist nicht allein der Bundesregierung, sondern in gleicher Weise auch dem Bundestag anvertraut, so dass der Umgang mit Informationen in einem Untersuchungsausschuss eigenen Geheimschutzbestimmungen unterliegt und dass Beschränkungen des Informationszugangs eines Untersuchungsausschusses unter Berufung auf das Staatswohl daher allenfalls unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen.

Mitteilungen über Kontakte mit ausländischen Geheimdiensten sind dem Informationszugriff eines Untersuchungsausschusses nicht ohne weiteres aus Gründen der Gefährdung des Staatswohls entzogen. Es liegt nicht auf der Hand, sondern wäre begründungsbedürftig gewesen, dass das Bekanntwerden von Einschätzungen US-amerikanischer geheimdienstlicher Stellen, die dessen Gefährlichkeit betrafen, originäre Geheimhaltungsinteressen dieser Stellen berühren und deshalb etwa die notwendige künftige Zusammenarbeit belasten könnte. In dem bloßen Umstand, dass das Bekanntwerden derartiger Informationen der Bundesregierung selbst im Hinblick auf ihren eigenen Umgang mit den betreffenden Erkenntnissen Unannehmlichkeiten bereiten könnte, läge keine Gefährdung des Staatswohls, sondern eine hinzunehmende verfassungsgewollte Folge der Ausübung des parlamentarischen Untersuchungsrechts.

Berufen auf Gefährdung des Staatswohls hier keine ausreichende Begründung

Die pauschale Behauptung der Gefährdung des Staatswohls ist keine Begründung dafür, weshalb die konkret verlangten Unterlagen Sicherheitsrelevanz besitzen sollen. Soweit ein Risiko des Bekanntwerdens geschützter Informationen zu befürchten ist, kann unter Berufung hierauf die Vorlage von Unterlagen jedenfalls nicht ohne Berücksichtigung etwaiger zwischenzeitlicher Verbesserung der organisatorischen Vorkehrungen im Bereich des Ausschusses und nicht ohne eine Begründung verweigert werden, die erkennen lässt, weshalb die fragliche Information von solcher Bedeutung ist, dass auch ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden kann.

Soweit die Vorbereitung auf Sitzungen parlamentarischer Gremien in den einzelnen Ressorts dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zuzuordnen und damit in der Vorbereitungsphase selbst dem parlamentarischen Informationszugriff entzogen sein mag, gilt dasselbe nicht ohne weiteres auch nach Abschluss des jeweiligen Vorgangs. Vielmehr bedarf es insoweit einer Abwägung, in die das parlamentarische Informationsinteresse mit dem ihm zukommenden Gewicht einzustellen ist.

Das Interesse der Bundesregierung an der Vertraulichkeit von Informationen ist umso schutzwürdiger, je weiter ein Informationsbegehren in den innersten Bereich der Willensbildung der Regierung eindringt. Auch hier ist eine fallbezogene Abwägung erforderlich, die auch das Gewicht des konkreten parlamentarischen Informationsinteresses zu würdigen hat.

Vorenthalten von Unterlagen bedarf klarer Begründung

Sollen einem Untersuchungsausschuss Unterlagen unter Berufung auf Art. 44 Abs. 2 Satz 2 GG vorenthalten werden, bedarf dies daher einer Begründung, die nicht nur spezifiziert, inwiefern die enthaltenen Informationen auf einem Eingriff in Art. 10 GG beruhen, sondern substantiiert auch darlegt, warum die erhobenen Informationen einem Verbot der Verwertung durch den Ausschuss unterliegen sollen.

Art. 44 GG ist schließlich auch insoweit verletzt, als die Antragsgegnerin Beweisbeschlüssen, ganz oder teilweise unter Berufung auf fehlenden Bezug zum Untersuchungsgegenstand nicht nachgekommen ist. Insoweit fehlt es bereits an der erforderlichen Begründung; zudem nimmt die Antragsgegnerin eine Befugnis zu enger Auslegung des Untersuchungsauftrages und restriktiver Einschätzung der Auftragszugehörigkeit in Anspruch, die ihr nicht zusteht.

Soweit über die organisationsbezogenen Unterlagen hinaus die erwähnten weiteren, personenbezogenen Unterlagen angefordert wurden, verletzt die Ablehnung der Vorlage das parlamentarische Informations- und Kontrollrecht des Deutschen Bundestages aus Art. 44 GG nicht. Dasselbe gilt für den Umgang der Antragsgegnerin, die die Vorlage aller Unterlagen verlangt, „die im Rahmen der Planung, Einrichtung und Tätigkeit der ‚Besonderen Aufbauorganisation USA’ des BKA an US-Stellen weitergegeben worden sind, aus der deren jeweiliger Inhalt genau hervorgeht, soweit ein persönlicher Bezug zu einem oder mehreren Personen oder Sachverhalten der Untersuchungsgegenstände. Dafür, dass die Prüfung von einem Verständnis des Untersuchungsauftrages seitens der Bundesregierung bestimmt gewesen wäre, das mit dem der Antragstellerinnen nicht übereinstimmt, haben die Antragstellerinnen nichts vorgebracht und ist auch nichts ersichtlich.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 23.07.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 84/09 des BVerfG vom 23.07.2009

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