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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.06.2010
1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07 -

Verfassungsbeschwerden gegen die Eingliederung privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst erfolglos

Systemwechsel zu ausschließlich öffentlichen Rettungsdienst stellt keinen unzulässigen Eingriff in Berufsfreiheit dar

Die Eingliederung privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst ist zulässig und mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht und erklärte zwei dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerden für unzulässig bzw. unbegründet.

In allen Bundesländern besteht derzeit ein bodengebundener Rettungsdienst, der Krankentransport und Notfallrettung umfasst, in öffentlicher Trägerschaft (öffentlicher Rettungsdienst). Die Durchführung des öffentlichen Rettungsdienstes obliegt vereinzelt der Feuerwehr, ist aber in den meisten Ländern auf private Hilfsorganisationen, wie u. a. das Deutsche Rote Kreuz, und auf private Unternehmen übertragen. Die rechtliche Gestaltung der Übertragung unterscheidet sich stark. Während teilweise nur ein öffentlicher Rettungsdienst vorgesehen ist, innerhalb dessen private Leistungserbringer mitwirken können (Einheits- oder Eingliederungsmodell), ist in anderen Ländern neben dem öffentlichen auch ein privater Rettungsdienst zulässig (duales System oder Trennungsmodell).

Sachverhalt

Im Freistaat Sachsen bestand ursprünglich neben dem öffentlichen auch ein privater Rettungsdienst. Der öffentliche Träger des Rettungsdienstes übertrug durch öffentlichrechtlichen Vertrag die Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport auf private Hilfsorganisationen oder auf andere Unternehmer. Daneben konnten Unternehmer mit entsprechender Genehmigung zur Notfallrettung oder zum Krankentransport auch einen privaten Rettungsdienst im eigenen Namen, auf eigene Verantwortung und auf eigene Rechnung betreiben. Die Genehmigung war zu versagen, wenn zu erwarten war, dass durch ihren Gebrauch das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst beeinträchtigt wird (Funktionsschutzklausel).

Mitwirkung privater Rettungsunternehmen nur noch im Rahmen des öffentlichen Rettungsdienstes möglich

Durch das Sächsische Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG), insbesondere durch den am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen § 31 SächsBRKG, wurde für den Rettungsdienst der Wechsel vom dualen System zum Eingliederungsmodell vollzogen. Danach ist die Mitwirkung privater Rettungsunternehmen nur noch im Rahmen des öffentlichen Rettungsdienstes möglich. Der öffentliche Träger des Rettungsdienstes überträgt ihnen nach Durchführung eines Auswahlverfahrens durch öffentlichrechtlichen Vertrag die Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransports. Er vereinbart mit den Kostenträgern einheitliche Entgelte für den Rettungsdienst bzw. legt die Gebühren durch Satzung fest. Dem öffentlichen Träger des Rettungsdienstes obliegt ferner die Errichtung der Leitstellen, wobei es sich in der Regel um bereichsübergreifende Einrichtungen handelt, die Einsätze des Rettungsdienstes veranlasst und lenkt, die Feuerwehren alarmiert, deren Einsätze unterstützt und die Katastrophenschutzeinheiten alarmiert.

Einheitlichkeit in Organisation und Durchführung soll effizienten Schutz der Bevölkerung gewährleisten

Vordringliches Ziel des neuen Gesetzes, das auch das bisherige Gesetz über den Brandschutz und die Hilfeleistung der Feuerwehren bei Unglücksfällen sowie das Gesetz über den Katastrophenschutz im Freistaat Sachsen ablöste, ist es, durch eine Einheitlichkeit in Organisation und Durchführung in allen Bereichen einen effizienten Schutz der Bevölkerung vor Bränden, Unglücksfällen, öffentlichen Notständen und Katastrophen zu gewährleisten.

Vorschrift verletzt Beschwerdeführer nicht in Grundrechten oder Berufsfreiheit

Die hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerden der beiden Beschwerdeführer, die in Sachsen private Rettungsdienstunternehmen betreiben, hat das Bundesverfassungsgericht teilweise als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen. Die angegriffene Vorschrift verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten, insbesondere nicht in ihrer Berufsfreiheit. Die Neuordnung des Rettungsdienstes rechtfertigt sich aus der Verfolgung überragend wichtiger Gemeinwohlziele.

Verfassungsbeschwerde ist unzulässig

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Unzulässig ist eine der Verfassungsbeschwerden insoweit, als sie sich auch gegen die Gestaltung des nach der neuen Regelung vorgesehenen Auswahlverfahrens wendet, weil es der betreffenden Beschwerdeführerin zumutbar ist, den Vergaberechtsweg vor den Fachgerichten zu beschreiten, wenn eine für sie nachteilige Entscheidung im Auswahlverfahren ergehen sollte.

Auswahlverfahren bei Bedarf an Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen notwendig

Im Übrigen sind beide Verfassungsbeschwerden unbegründet. Der Systemwechsel zu einem ausschließlich öffentlichen Rettungsdienst greift zwar in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer ein. Denn für die Mitwirkung im öffentlichen Rettungsdienst ist nicht nur der Abschluss eines öffentlichrechtlichen Vertrags mit dem Träger des Rettungsdienstes erforderlich; ein Interessent muss sich vielmehr zuvor in einem Auswahlverfahren gegen seine Mitbewerber durchgesetzt haben. Ein solches Auswahlverfahren findet aber nur statt, wenn und soweit ein Bedarf namentlich an Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen besteht. Zudem können die privaten Unternehmer ihre Rettungsdienste nicht mehr auf der Grundlage eigener vertraglicher Vereinbarungen mit den Kostenträgern des Rettungsdienstes und den Krankenkassen erbringen.

Eingriffe in Berufsfreiheit gerechtfertigt

Diese Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer sind jedoch gerechtfertigt. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Neuordnung des Rettungsdienstes legitime Gemeinwohlziele und durfte im Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungs- und Prognosespielraums auch davon ausgehen, dass die angegriffene Regelung zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich ist.

Abhängigkeit der Zulassung vom Bedarf an Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen soll Entstehen von Überkapazitäten vermeiden

Die mit der Neuregelung erstrebte Verbesserung des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung betrifft überragend wichtige Gemeinwohlbelange, die ohne den Eingriff in die Berufsfreiheit einer ernsthaften Gefährdung ausgesetzt wären. Durch die Eingliederung privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst ist deren Zulassung nun vom Bedarf an Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen abhängig. Sie vermeidet daher das Entstehen von Überkapazitäten, die angesichts der hohen Investitions- und Vorhaltekosten einen Konkurrenzkampf unter den privaten Rettungsunternehmern befürchten lassen, der die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes in empfindlicher Weise stören würde.

Schnellstmögliche und umfassende zentrale Koordinierung verfügbarer Rettungsmittel und Rettungskräfte bei Großeinsätzen offenkundig vorteilhaft

Außerdem durfte der Gesetzgeber annehmen, dass die vollständige Überführung des Rettungsdienstes in öffentliche Trägerschaft zu einer generellen Vereinheitlichung des Schutzkonzepts aus Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz beiträgt und geeignet sowie erforderlich ist, zu einer effizienteren Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport beizutragen. Die Eingliederung erlaubt die Zusammenfassung behördlicher Zuständigkeiten und Befugnisse und gewährleistet so eine bessere Koordination der Einsätze von Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz sowie den Zugriff auf sämtliche im Einzelfall benötigte Ressourcen sowohl bei Alltagseinsätzen als gerade auch bei komplexen Unglücksfällen, in Großschadenslagen oder im Katastrophenfall. Im Rahmen eines ausschließlich staatlich organisierten Rettungsdienstes ist ferner eine flexible und einheitliche Planung der Leitstellen und Rettungswachen möglich, die auf bestehende Genehmigungen für private Unternehmer keine Rücksicht nehmen muss. So kann eine flächendeckende und fachgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Rettungsdienstleistungen unter Vermeidung unnötiger Doppelvorhaltungen leichter sichergestellt werden. Gerade bei größeren bereichsübergreifenden Einsätzen oder in Großschadenslagen ist eine schnellstmögliche und umfassende zentrale Koordinierung sämtlicher verfügbarer Rettungsmittel und Rettungskräfte offenkundig vorteilhaft. Die zuvor im dualen System geregelte Funktionsschutzklausel, wonach die Zulassung privater Unternehmen nur für den Fall erlaubt war, dass hierdurch die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes nicht beeinträchtigt oder gefährdet wird, ist zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes nicht in gleich effizienter Weise geeignet. Denn sie vermag nicht zu einer Vereinheitlichung der Strukturen und Abläufe von Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz sowie zu einer effizienteren Koordinierung der Rettungsdiensteinsätze beizutragen.

Eingriffe auch hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit gerechtfertigt

Die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer sind auch unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit gerechtfertigt. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass die vollständige Eingliederung privater Anbieter in den öffentlichen Rettungsdienst durch die verbesserte Planbarkeit und die effizientere Koordinierung der Einsätze kostenaufwändige Doppelvorhaltungen personeller und sächlicher Rettungsmittel auszuschließen, zumindest aber zu reduzieren vermag. So vermindert sich die Zahl der Leitstellen, die außerdem noch kostengünstiger arbeiten können. Einsparpotentiale ergeben sich ferner durch die bessere Vernetzung des Rettungsdienstes mit Feuerwehr und Katastrophenschutz. Die organisatorische Zusammenfassung von Notfallrettung und Krankentransport im öffentlichen Rettungsdienst trägt ebenfalls zur Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems bei. Private Unternehmer sind im Unterschied zu öffentlichen Trägern nicht gezwungen, ihre Leistungen auch in wirtschaftlich unrentablen Gegenden anzubieten. Der öffentliche Rettungsdienst ist zur Geringhaltung der Kosten deshalb darauf angewiesen, dass Einnahmen aus tendenziell eher einträglichen Krankentransporten zum Ausgleich der Aufwendungen für die Bereitstellung eines umfassenden Rettungsdienstes und hier insbesondere zu den Aufwendungen für die Notfallrettung beitragen.

Wettbewerb zwischen Hilfsorganisationen und privaten Unternehmern eröffnet

Schließlich ist der nunmehr geregelte Systemwechsel geeignet und erforderlich, das ebenfalls angestrebte Ziel eines transparenten und chancengleichen Zulassungsverfahrens zu erreichen. Nach der früheren Rechtslage bestand faktisch ein abgeschlossenes System der etablierten Anbieter; im öffentlichen Rettungsdienst waren die Verträge mit den Hilfsorganisationen, im privaten Rettungsdienst die Genehmigungen der Unternehmer regelmäßig verlängert worden. Demgegenüber ist nunmehr durch die Aufgabe der Trennung zwischen öffentlichem und privatem Rettungsdienst erstmals ein Wettbewerb zwischen Hilfsorganisationen und privaten Unternehmern um alle benötigten Kapazitäten zu gleichen Konditionen eröffnet worden; alle, insbesondere auch neue Bewerber, haben grundsätzlich die gleiche Chance, als Leistungserbringer ausgewählt zu werden.

Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit im Hinblick auf effizienten Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung nicht unangemessen

Im Rahmen der Gesamtabwägung ist zu beachten, dass durch die Neuregelung den privaten Unternehmern der Zugang zur Tätigkeit im Rettungsdienst in Sachsen nicht schlechthin verwehrt ist; sie haben nach wie vor die Möglichkeit, sich in der Notfallrettung und im Krankentransport als Anbieter beruflich zu betätigen. Die dennoch verbleibenden Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit erscheinen angesichts des ihnen gegenüber stehenden überragend wichtigen Gemeinwohlziels eines effizienten Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung nicht unangemessen.

Dauerhafter Bestandsschutz für unternehmerische Tätigkeit im Rettungsdienst kann nicht beansprucht werden

Die Neuregelung des Rettungsdienstes ist schließlich auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes verfassungsrechtlich zu beanstanden. Durch das angegriffene Gesetz ist den Inhabern von Genehmigungen zur Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport eine vierjährige Übergangszeit eingeräumt worden, während der sie ihre Unternehmen nach der alten Rechtslage fortführen konnten. Nach Ablauf der vierjährigen Übergangsfrist ist es den Beschwerdeführern zumutbar, sich wie alle anderen Interessenten um den Abschluss eines solchen Vertrags in einem transparenten und chancengleichen Auswahlverfahren zu bewerben. Einen dauerhaften Bestandsschutz für ihre unternehmerische Tätigkeit im Rettungsdienst können sie nicht beanspruchen. Steht wie hier die Gesetzesintention einer unveränderten beruflichen Betätigung entgegen, so gebietet es der Vertrauensschutz nicht, den Betroffenen die Möglichkeit hierzu im bisherigen Umfang zu erhalten.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 08.07.2010
Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

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