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Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 29.04.2015
C-528/13 -

EuGH: Ausschluss von homosexuellen Männern bei der Blutspende kann gerechtfertigt sein

Mitgliedsstaaten müssen dabei Bestehen eines hohen Übertragungsrisikos für schwere Infektions­krankheiten belegen können

Der Ausschluss von der Blutspende für Männer, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, kann im Hinblick auf die in dem betreffenden Mitgliedstaat herrschende Situation gerechtfertigt sein. Es muss feststehen, dass für diese Personen ein hohes Übertragungsrisiko für schwere Infektions­krankheiten, wie insbesondere HIV, besteht und dass wirksame Nachweistechniken oder weniger belastende Methoden fehlen, um ein hohes Gesundheits­schutz­niveau der Empfänger sicherzustellen. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union

Am 29. April 2009 lehnte ein Arzt des Établissement français du sang in Metz (Frankreich) die Blutspende, die Herr Léger abgeben wollte, mit der Begründung ab, dass dieser eine sexuelle Beziehung zu einem Mann gehabt habe und das französische Recht Männer, die derartige sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, von der Blutspende ausschließe. Herr Léger erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Tribunal administratif de Strasbourg (Frankreich), das vom Gerichtshof wissen möchte, ob dieser Ausschluss mit einer Richtlinie der Union* vereinbar ist. Nach der Richtlinie sind Personen, deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt, von der Blutspende ausgeschlossen.

Nationales Gericht muss bei Nachweis über mögliches Übertragungsrisiko von Infektionskrankheiten epidemiologische Situation in Frankreich berücksichtigen

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof der Europäischen Union zunächst fest, dass das Tribunal administratif de Strasbourg zu entscheiden haben wird, ob für den Fall, dass ein Mann sexuelle Beziehungen zu einem Mann hatte, in Frankreich ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten besteht. Zum Zweck dieser Beurteilung wird das Tribunal administratif de Strasbourg die epidemiologische Situation in Frankreich zu berücksichtigen haben, die nach der französischen Regierung und der Kommission einen spezifischen Charakter habe. Dabei weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach den Daten, die ihm zur Verfügung gestellt wurden, fast alle Ansteckungen mit HIV in den Jahren 2003 bis 2008 auf eine sexuelle Beziehung zurückzuführen waren und die Hälfte der Neuansteckungen Männer betrafen, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten. Diese stellten – immer noch in demselben Zeitraum – die am stärksten von der Ansteckung mit HIV betroffene Bevölkerungsgruppe mit einer 200-mal höheren Rate als die der heterosexuellen französischen Bevölkerung. Schließlich soll die Verbreitung von HIV in der Gruppe der Männer, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, von allen Staaten Europas und Zentralasiens in Frankreich am höchsten sein. Das Tribunal administratif de Strasbourg habe daher zu beurteilen, ob diese Daten im Licht der derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse belastbar und nach wie vor relevant sind.

Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung möglich

Selbst wenn das Tribunal administratif de Strasbourg der Ansicht sein sollte, dass Männer, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, in Frankreich einem hohen Übertragungsrisiko für Krankheiten wie HIV ausgesetzt seien, stellt sich die Frage, ob die dauerhafte Kontraindikation bei Blutspenden mit den Grundrechten der Union und insbesondere mit dem Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung** vereinbar ist.

Regelungen zur Minimierung der Übertragung von Infektionskrankheiten dürfen nicht gegen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen

Angesichts der Tatsache, dass die französischen Rechtsvorschriften im Hinblick auf männliche homosexuelle Personen eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung darstellen können, weist der Gerichtshof darauf hin, dass jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Rechte und Freiheiten nur vorgenommen werden darf, wenn sie erforderlich ist und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entspricht. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass der in der französischen Regelung vorgesehene Ausschluss zwar dazu beiträgt, das Risiko einer Übertragung einer Infektionskrankheit auf die Empfänger zu minimieren, und damit dem allgemeinen Ziel dient, ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen, aber möglicherweise gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass HIV mit wirksamen Techniken nachgewiesen werden kann, die geeignet sind, ein hohes Gesundheitsschutzniveau für Empfänger sicherzustellen. Das nationale Gericht wird zu beurteilen haben, ob es solche wirksamen Techniken gibt, wobei die Tests nach den neuesten wissenschaftlichen und technischen Verfahren durchzuführen sind.

Nationales Gericht muss weitere Möglichkeiten zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveau der Blutspende-Empfänger prüfen

Falls es solche Techniken nicht geben sollte, wird das Tribunal administratif de Strasbourg zu beurteilen haben, ob es nicht weniger belastende Methoden als den Ausschluss von der Blutspende gibt, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau der Empfänger sicherzustellen und insbesondere, ob möglicherweise anhand des Fragebogens und der persönlichen Befragung durch einen qualifizierten Angehörigen eines Gesundheitsberufs das riskante Sexualverhalten genauer identifiziert werden kann.

Erläuterungen

* -  Richtlinie 2004/33/EG der Kommission vom 22. März 2004 zur Durchführung der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich bestimmter technischer Anforderungen für Blut und Blutbestandteile (ABl. L 91, S. 25).

** -  Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

 

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 29.04.2015
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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