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Sozialgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 26.02.2004
S 30/25 KR 2369/02 -

Krankenkasse muss Kosten für Fettabsaugungen bei Lipödem übernehmen

Versicherte muss sich nicht auf das Tragen von Kompressionsstrümpfen verweisen lassen

Das Sozialgericht Frankfurt a. M. verurteilte die Gmünder Ersatzkasse zur Übernahme der Kosten für die voraussichtlich 5.215 Euro teuere Behandlung, obwohl es sich um eine bisher nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zählende Behandlungsmethode handelt.

Die 1974 geb. Klägerin leidet an einer Aufquellung des Fettgewebes an beiden Beinen, einem sog. Lipödem. Die Behandlung durch eine Liposuktion (Fettabsaugung) lehnte die beklagte Krankenkasse ab, weil diese Leistung keine Behandlungsmethode im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Für die Behandlung werden Behandlungskosten von ca. 5.212 Euro entstehen. Auf ihre Klage hin verurteilte das Sozialgericht die Krankenkasse, die Kosten dem Grunde nach zu übernehmen.

Die mit einem Berufsrichter als Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzte 30. Kammer geht mit der Krankenkasse davon aus, dass es sich bei der Liposuktion um eine sog. neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handele. Zwar habe der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen diese Methode bisher nicht anerkannt, weshalb sie nicht zum Leistungsangebot der Krankenkassen gehöre. Dennoch habe die Klägerin aus dem Gesichtspunkt des „Systemversagens“ einen Anspruch auf diese Leistung. Die Krankheit der Klägerin komme selten vor. Nach den dem Gericht vorliegenden medizinischen Gutachten handele es sich um eine seriöse wissenschaftliche Methode, die bisher keine wissenschaftlich beachtliche Gegenstimme gefunden habe. Die Gefahr von Nebenwirkungen sei zu vernachlässigen. Eine Behandlungsalternative bestehe nicht; eine dauerhafte Kompressionstherapie sei nur als „mechanische Hilfe“, Lymphdrainagen seien lediglich als kosmetische Korrekturen zu verstehen. Auch sei eine dringende Behandlungsbedürftigkeit gegeben.

Zum Begriff „Lipödem“

Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (vgl. http://www.uniduesseldorf. de/WWW/AWMF/ll/phle-lip.htm) ist das Lipödem ein klinisches Syndrom, gekennzeichnet durch Vermehrung des Unterhautfettgewebes mit orthostatischen Ödemen, einhergehend mit einer Fettverteilungsstörung besonders an Ober- und Unterschenkeln. Im fortgeschrittenen Stadium bildet sich in vielen Fällen ein lymphostatisches Ödem. Die Erkrankung ist eher selten, sie tritt fast ausschließlich bei Frauen auf. Das Manifestationsalter liegt vorzugsweise am Ende der Pubertätszeit, jedoch kann die Krankheit in jeder Lebensdekade ihren Anfang nehmen. Es wird eine familiäre Disposition beschrieben (Wold). Weshalb es zu der Vermehrung des Unterhautfettgewebes kommt, ist letztlich unklar. In etwa 50 % der Fälle geht die Erkrankung mit einer allgemeinen Fettsucht einher (Greer). Darüber hinaus konnte bei vielen Lipödem-Patientinnen eine Reihe pathologischer Befunde erhoben werden, die jedoch nicht auf eine Ätiopathogenese schließen lassen.

Zur Therapie heißt es darin weiter: Da die eigentliche Ursache des Lipödems unbekannt ist, gibt es keine kausale Behandlung. Bei diskretem, meist beschwerdefreiem Lipödem ist eine Therapie nicht sinnvoll. Stark ausgeprägte Lipödeme bedürfen einer Behandlung. Eine wirksame Methode ist die komplexe physikalische Entstauungstherapie nach Földi mit anschließendem Anlegen von straffen Kompressionsverbänden. Ist eine befriedigende Konfiguration des Beines erreicht, wird ein medizinischer Kompressionsstrumpf der Kompressionsklasse III nach Maß verordnet, der lebenslang getragen werden muß. So berichten Deri und Weissleder, daß sie während einer vierwöchigen stationär durchgeführten Behandlung eine Minderung der Beinvolumina um 4 bis zu 12 % erzielt haben. Das behutsame Absaugen von subkutanem Fettgewebe (Liposuktion) mittels dünnen stumpfen Kanülen in Tumeszenz- Lokalanästhesie bringt offenbar auch beim Lipödem gute Ergebnisse bei weitgehender Schonung der Lymphgefäße (Sattler et al., Narins und Coleman). Langzeitergebnisse müssen abgewartet werden. In jedem Fall sind Abmagerungskuren, spezielle Diäten oder eine Diuretikatherapie zwecklos.

Gesetzestexte

§ 13 SGB V Kostenerstattung

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach - oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach - oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Sie sind von ihrer Krankenkasse vor ihrer Wahl zu beraten. Eine Beschränkung der Wahl auf den Bereich der ambulanten Behandlung ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95 b Abs. 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Jahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 15 des Neunten Buches erstattet.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten im Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen aufgrund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in anderen Staaten im Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

§ 135 SGB V Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden

(1) Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen abgegeben hat über 1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, 2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und 3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung. Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft die zu Lasten der Krankenkassen erbrachten vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Leistungen daraufhin, ob sie den Kriterien nach Satz 1 Nr. 1 entsprechen. Falls die Überprüfung ergibt, daß diese Kriterien nicht erfüllt werden, dürfen die Leistungen nicht mehr als vertragsärztliche oder vertragszahnärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden.

(2) Für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, welche wegen der Anforderungen an ihre Ausführung oder wegen der Neuheit des Verfahrens besonderer Kenntnisse und Erfahrungen (Fachkundenachweis) sowie einer besonderen Praxisausstattung oder weiterer Anforderungen an die Strukturqualität bedürfen, können die Partner der Bundesmantelverträge einheitlich entsprechende Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung dieser Leistungen vereinbaren. Soweit für die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, welche als Qualifikation vorausgesetzt werden müssen, in landesrechtlichen Regelungen zur ärztlichen Berufsausübung, insbesondere solchen des Facharztrechts, bundesweit inhaltsgleich und hinsichtlich der Qualitätsvoraussetzungen nach Satz 1 gleichwertige Qualifikationen eingeführt sind, sind diese notwendige und ausreichende Voraussetzung. Wird die Erbringung ärztlicher Leistungen erstmalig von einer Qualifikation abhängig gemacht, so können die Vertragspartner für Ärzte, welche entsprechende Qualifikationen nicht während einer Weiterbildung erworben haben, übergangsweise Qualifikationen einführen, welche dem Kenntnis- und Erfahrungsstand der facharztrechtlichen Regelungen entsprechen müssen. Abweichend von Satz 2 können die Vertragspartner nach Satz 1 zur Sicherung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung Regelungen treffen, nach denen die Erbringung bestimmter medizinisch-technischer Leistungen den Fachärzten vorbehalten ist, für die diese Leistungen zum Kern ihres Fachgebietes gehören.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 27.08.2007
Quelle: ra-online, SG Frankfurt am Main (pm)

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