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Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.04.2015
L 5 KR 605/15 -

Schwerstbehindertes Kind hat Anspruch auf häusliche Krankenpflege

AOK muss vorerst Rund-um-die-Uhr-Betreuung des Kindes sicherstellen

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Baden-Württemberg im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, häusliche Krankenpflege für ein schwerstbehindertes Mädchen zu gewähren. Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache können die Eltern damit eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung ihrer Tochter sicherstellen.

Das zweijährige Kind des zugrunde liegenden Verfahrens leidet an einer schweren Entwicklungsstörung und ist mehrfach geistig und körperlich behindert. Nach einer Operation mit erheblichen Komplikationen wenige Tage nach der Geburt musste das Mädchen vier Monate lang dauerhaft künstlich beatmet werden. Auch danach war noch häufig eine Beatmung erforderlich, insbesondere während der Nachtzeit für bis zu vier Stunden täglich. Die Sauerstoffgabe erfolgte über eine operative Öffnung der Luftröhre am Hals, ein sogenanntes Tracheostoma. Durch diese Öffnung konnte auch Sekret abgesaugt werden, was anfangs noch häufig notwendig war.

Krankenkasse reduziert Anspruch auf häusliche Krankenpflege auf drei Stunden pro Tag

Zunächst hatte die AOK häusliche Krankenpflege im Umfang von 16 Stunden täglich, später für 13 Stunden am Tag gewährt. Die eingeschalteten Pflegedienste übernahmen bis zu drei Tagesdienste und vier Nachtwachen pro Woche. Während der übrigen Zeit kümmerten sich die Eltern um ihrer Tochter. Nachdem die Öffnung der Luftröhre im Herbst 2014 operativ wieder geschlossen werden konnte, bewilligte die Krankenkasse häusliche Krankenpflege nur noch für täglich drei Stunden. Zuvor hatte ein von der AOK eingeschalteter Gutachter eine durchgehende Überwachung des Kindes nicht mehr für erforderlich gehalten. Die Atmungssituation habe sich zwischenzeitlich stabilisiert und das Kind könne nun auch selbständig Sekret abhusten, befand der Mediziner.

Eltern halten Überwachung während der Nacht für zwingend notwendig

Gegen diese Entscheidung setzten sich die Eltern des Mädchens zur Wehr. Sie könnten ihre Tochter nach wie vor nicht aus den Augen lassen. Ihre Tochter drehe sich nachts häufig in die Rückenlage und erbreche sich. Wegen der Gefahr des Erstickens sei deshalb gerade zur Nachtzeit eine Überwachung zwingend notwendig. Nach der Entfernung des Tracheostomas sei die Situation eher schwieriger geworden, da Beatmen und Absaugen jetzt nicht mehr so einfach durchgeführt werden könnten.

Sozialgericht gibt Ansicht der Krankenkasse statt

In erster Instanz hatte noch die AOK obsiegt. Das Sozialgericht Konstanz hatte die Beurteilung des Gutachters der Krankenkasse für überzeugend gehalten und den Eilantrag der Eltern abgelehnt. Diese Entscheidung hob das Landessozialgericht auf und gab der Beschwerde der Eltern statt.

Interesse des Kindes muss Vorrang eingeräumt werden

Die Richter des Landessozialgerichts Baden-Württemberg gaben vorläufig den Eltern des Mädchens Recht. Um abschließend beurteilen zu können, ob und gegebenenfalls für welchen Zeitraum das Kind noch Leistungen der häuslichen Krankenpflege benötige, müssten umfangreiche medizinische Ermittlungen durchgeführt werden. Zunächst seien die behandelnden Ärzte des Kindes zu hören; anschließend müsse dann über die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens entschieden werden. Wegen der Eilbedürftigkeit des Falls könnten diese Ermittlungen aber nicht im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes erfolgen, sondern müssten dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Über den Eilantrag der Eltern des Mädchens sei deshalb im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden. Hierbei müsse dem Interesse des Kindes der Vorrang eingeräumt werden, da dessen Leben bedroht sei, sollte sich die Einschätzung der Krankenkasse als falsch erweisen. Gegenüber diesem hohen Gut müsse das Interesse der Krankenkasse, einen Vermögensschaden durch möglicherweise zu Unrecht gewährte Leistungen zu vermeiden, zurückstehen.

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung

§ 37 Häusliche Krankenpflege

[...]

(2) Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 des Elften Buches zu berücksichtigen ist. § 10 der Werkstättenverordnung bleibt unberührt. Der Anspruch nach Satz 1 besteht über die dort genannten Fälle hinaus ausnahmsweise auch für solche Versicherte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 43 des Elften Buches, die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben. Die Satzung kann bestimmen, dass die Krankenkasse zusätzlich zur Behandlungspflege nach Satz 1 als häusliche Krankenpflege auch Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erbringt. Die Satzung kann dabei Dauer und Umfang der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung nach Satz 4 bestimmen. Leistungen nach den Sätzen 4 und 5 sind nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit im Sinne des Elften Buches nicht zulässig. Versicherte, die nicht auf Dauer in Einrichtungen nach § 71 Abs. 2 oder 4 des Elften Buches aufgenommen sind, erhalten Leistungen nach Satz 1 und den Sätzen 4 bis 6 auch dann, wenn ihr Haushalt nicht mehr besteht und ihnen nur zur Durchführung der Behandlungspflege vorübergehender Aufenthalt in einer Einrichtung oder in einer anderen geeigneten Unterkunft zur Verfügung gestellt wird.

(3) Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.

[...]

(6) Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in Richtlinien nach § 92 fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können. Er bestimmt darüber hinaus das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nach Absatz 2 Satz 1.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 13.05.2015
Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online

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Kommentare (2)

 
 
Armin schrieb am 13.05.2015

Sehr gut!!! Der Krankenkasse schadet das eh nicht! Ich hoffe das Mädchen gewinnt den Prozess!

Georg Grimm antwortete am 14.05.2015

Sehe ich auch so!

Die AOK bzw. deren Mitarbeiter incl. Gutachter, die an dieser "Entscheidung" mitgewirkt haben, sollten sich schämen und sich glücklich schätzen, dass sie, sollten sie ein Kind haben, von solchen Problemen verschont sind!

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