Hier beginnt die eigentliche Meldung:
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.01.2008
- GSSt 1/07 -
Großer Senat für Strafsachen beschließt Systemwechsel bei der Entschädigung für rechtsstaatswidrig verzögerte Strafverfahren
Zukünftig gilt das Vollstreckungsmodell - Strafabschlagsmodell wird nicht mehr angewandt
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hatte aufgrund einer Vorlage des 3. Strafsenats über die Frage zu entscheiden, in welcher Form ein Angeklagter dafür zu entschädigen ist, dass das gegen ihn betriebene Strafverfahren von den Strafverfolgungsbehörden in rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbarer Weise verzögert worden ist. Zukünftig soll das Vollstreckungsmodell das Strafabschlagsmodell ablösen.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs waren die Belastungen, denen ein Angeklagter durch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens ausgesetzt ist, durch eine bezifferte Herabsetzung der ohne diese Verzögerung angemessenen Strafe auszugleichen (Strafabschlagsmodell).
Urteil des LG Oldenburg gibt Anlass das Strafabschlagsmodell zu hinterfragen
Anlass für die Vorlage des 3. Strafsenats war vor diesem Hintergrund die Revision der Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil des Landgerichts Oldenburg, in dem der Angeklagte wegen besonders schwerer Brandstiftung und versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden war, obwohl das Strafgesetzbuch (§ 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB) schon allein für das Brandstiftungsdelikt Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vorsieht. Das Landgericht hat diese Mindeststrafe unterschritten, um dem Angeklagten einen Ausgleich dafür zu gewähren, dass zwischen dem Eingang der Anklage am 5. Oktober 2004 und dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses am 24. Mai 2006 ein unvertretbar langer Zeitraum gelegen habe, in dem das Verfahren nicht betrieben worden sei. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Angeklagte auch ohne Berücksichtigung dieser
Staatsanwaltschaft beanstandet Strafabschlag - Gesetzlich vorgegebener Strafrahmen wurde nicht beachtet
Diese Vorgehensweise hat die Staatsanwaltschaft nach Auffassung des 3. Strafsenats mit Recht beanstandet. Die gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen seien von den Gerichten zu respektieren; sie dürften auch nicht unterschritten werden, um dem Angeklagten einen Ausgleich für die Verzögerung des Verfahrens zu verschaffen. Um ihm dennoch in allen Fällen die nach den Vorgaben des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention gebotene Kompensation gewähren zu können, sei der Ausgleich nicht durch einen Abschlag auf die an sich schuldangemessene Strafe vorzunehmen. Vielmehr sei diese Strafe im Urteil festzusetzen und gleichzeitig auszusprechen, dass ein angemessener Teil hiervon zum Ausgleich für die
Großer Senat entscheidet sich für Vollstreckungsmodell - Altes Modell steht im Widerstreit zur Bindung der Gerichte an das Gesetz
Dieser hat sich für das
Strafvollstreckungsmodell entspricht in vollem Umfang den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Dieses ist auch deswegen dem Modell des Strafabschlags vorzuziehen, weil es in vollem Umfang den Kriterien gerecht wird, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Gewährung einer Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrenszögerung zu beachten sind. Außerdem hat die Vollstreckungslösung den Vorzug, dass sie bei der Strafzumessung nicht Fragen des Ausgleichs von Unrecht und Schuld mit der Strafzumessung wesensfremden Aspekten der
Werbung
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist anstelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 08.02.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 25/08 des BGH vom 08.02.2008
- Landgericht Oldenburg, Urteil vom 09.08.2006
[Aktenzeichen: 1 KLs 115/04]
Urteile sind im Original meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst kostenlose-urteile.de alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Dokument-Nr. 5568
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://www.kostenlose-urteile.de/Beschluss5568
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.
Senden Sie uns diese Entscheidungen doch einfach für kostenlose-urteile.de zu. Unsere Redaktion schaut gern, ob sich das Urteil für eine Veröffentlichung eignet.