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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.11.2014
1 BvR 2843/14 -

Umgangs- und Auskunftsanspruch des biologischen Vaters: Zeitpunkt der Einholung eines Ab­stammungs­gut­achtens muss verhältnismäßig sein

Gerichte müssen familiäre Auswirkungen der Abstammungserklärung beachten und unnötige Eingriffe in das Familiengrundrecht vermeiden

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass es wegen der familiären Auswirkungen einer Abstammungsklärung zur Wahrung des Verhältnis­mäßig­keits­grund­satzes geboten sein kann, diese erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die sonstigen Voraussetzungen eines Umgangs- oder Auskunftsanpruchs vorliegen. Im zugrunde liegenden Verfahren nahm das Bundes­verfassungs­gericht eine Verfassungs­beschwerde, die sich gegen die Einholung eines Ab­stammungs­gut­achtens im Verfahren auf Umgang und Auskunft des mutmaßlichen Vaters richtet, nicht zur Entscheidung an, da die von den Fachgerichten gewählte Prüfungsreihenfolge nach Auffassung des Bundes­verfassungs­gerichts nicht zu beanstanden war.

Die Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Verfahrens sind ein Ehepaar mit seiner Tochter. Der Ehemann ist rechtlicher Vater der Tochter, der Antragsteller des Ausgangsverfahrens hält sich selbst für ihren leiblichen Vater. Er macht ein Umgangs- und Auskunftsrecht nach § 1686 a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geltend. Nachdem das Amtsgericht den Antrag insgesamt zurückgewiesen hatte, ordnete das Oberlandesgericht die Einholung eines Abstammungsgutachtens an. Die Beschwerdeführer verweigerten hieran ihre Mitwirkung. Das Oberlandesgericht entschied daraufhin durch Zwischenbeschluss, dass die Weigerung rechtswidrig sei. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.

Anordnung der Abstammungsuntersuchung genügt Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

Das Bundesverfassungsgericht verwies darauf, dass die Anordnung und Durchführung einer Abstammungsuntersuchung zwar insbesondere in das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familienleben der bestehenden Familie eingreife. Der Grundrechtseingriff sei jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt; er beruhe auf gesetzlicher Grundlage und ist verhältnismäßig. Der Schutz der bestehenden Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) findet im verfassungsrechtlich grundsätzlich anzuerkennenden Wunsch des leiblichen Vaters nach Umgang und Auskunft über das Kind eine verfassungsimmanente Schranke. In deren gesetzlicher Konkretisierung ermächtigt § 167 a des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) die Gerichte zur Anordnung einer Abstammungsuntersuchung, sofern dies in Verfahren nach § 1686 a BGB zur Klärung der leiblichen Vaterschaft erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat damit in Reaktion auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dem mutmaßlichen leiblichen Vater zur Durchsetzung des neu geschaffenen Umgangs- oder Auskunftsanspruchs eine Abstammungsklärung auch dann ermöglicht, wenn - wie hier - eine Vaterschaftsanfechtung wegen der sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind nicht in Betracht kommt. Die aufgrund der genannten Regelungen ergangene Anordnung einer Abstammungsuntersuchung genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Anspruch auf Umgang und Auskunft darf Kindeswohl nicht widersprechen

Der Anspruch auf Umgang sowie Auskunft gemäß § 1686 a Abs. 1 BGB setzt neben der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers voraus, dass dieser ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat und dass der Umgang dem Kindeswohl dient (Nr. 1), bzw. dass die Auskunft über die persönlichen Verhältnisse dem Wohl des Kindes nicht widerspricht und der Antragsteller an der Auskunft ein berechtigtes Interesse hat (Nr. 2). Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, in welcher Reihenfolge die Anspruchsvoraussetzungen durch das Gericht zu klären sind.

Reihenfolge die Anspruchsvoraussetzungen liegt nicht im Belieben der Gerichte

Von Verfassungs wegen darf diese Reihenfolge jedoch nicht im Belieben des Gerichts stehen, weil die Betroffenen nicht mit Grundrechtseingriffen belastet werden dürfen, die nicht erforderlich sind. Insbesondere dürfen die Gerichte sich hierbei nicht alleine von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen. Wegen der familiären Auswirkungen der Abstammungsklärung kann es zur Vermeidung unnötiger Eingriffe in das Familiengrundrecht vielmehr geboten sein, die Abstammungsklärung erst dann herbeizuführen, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen; ist hingegen absehbar, dass die Klärung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen für die Betroffenen ungleich belastender ist, kann es umgekehrt geboten sein, zuerst die Abstammungsklärung vorzunehmen. Wenn sich die Frage der Kindeswohldienlichkeit oder -verträglichkeit ohne großen Aufwand klären lässt, wird das Gericht in der Regel vorab keine Abstammungsuntersuchung anordnen dürfen. Die Anordnung einer Abstammungsuntersuchung vor Klärung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen scheidet regelmäßig auch dann aus, wenn nach dem Stand der Ermittlungen unwahrscheinlich ist, dass die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Je wahrscheinlicher hingegen ist, dass die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und je geringer die damit verbundenen Beeinträchtigungen des Familienlebens sind, desto eher darf eine Abstammungsuntersuchung vor der abschließenden Klärung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen angeordnet werden. Hierbei kann insbesondere dem Umstand Bedeutung zukommen, ob die Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers zwischen den Beteiligten streitig ist oder nicht.

Gericht hat bei Abstammungsuntersuchung im vorliegenden Fall keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Dies zugrunde gelegt, begegnet die Anordnung der Abstammungsuntersuchung im vorliegenden Fall keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, obwohl die weiteren Anspruchsvoraussetzungen noch nicht abschließend geklärt sind. Das Oberlandesgericht nimmt in nicht zu beanstandender Weise an, dass erhebliche psychische Auswirkungen der Abstammungsklärung auf die Beteiligten nicht zu befürchten sind, weil unstreitig ist, dass eine leibliche Vaterschaft des Antragstellers in Betracht kommt. Zudem sieht es derzeit die Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs nach § 1686 a Abs. 1 Nr. 2 BGB - mit Ausnahme der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers - als gegeben an. Dies erscheint nicht unplausibel, denn die Beschwerdeführer haben selbst einen solchen Anspruch „anerkannt“ und damit zu erkennen gegeben, dass aus ihrer Sicht der Auskunft über das Kind keine unüberwindbaren Kindeswohlbelange entgegenstehen.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 08.12.2014
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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Jahrgang: 2015, Seite: 542
NJW 2015, 542

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