Hier beginnt die eigentliche Meldung:
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 29.09.2015
- 26 U 1/15 -
Oberlandesgericht Hamm konkretisiert Anforderungen an Einwilligung der Eltern in ärztliche Behandlung ihrer Kinder
Arzt muss sich bei risikoreichen Eingriffen über Einverständnis des abwesenden Elternteils zur Behandlung vergewissern
Ein ärztlicher Heileingriff bei einem minderjährigen Kind bedarf grundsätzlich der Zustimmung beider sorgeberechtigter Eltern. Erscheint nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, darf dieser in von der Rechtsprechung präzisierten Ausnahmefällen - abhängig von der Schwere des Eingriffs - darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt hat. Ausgehend hiervon hat das Oberlandesgericht Hamm die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Bielefeld bestätigt, nach der die gegen eine Bielefelder Klinik und die behandelnden Ärzte dieser Klinik gerichtete Schadensersatzklage von Eltern aus Bad Oeynhausen erfolglos geblieben ist. Mit der Klage hatten die Eltern 500.000 Euro Schmerzensgeld für ihr im Alter von 2 ½ Jahren verstorbenes Kind verlangt.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die im November 2008 in der 32. Schwangerschaftswoche mit multiplen Krankheitssymptomen geborene Tochter der Kläger wurde nach der Geburt zunächst im Herzzentrum Bad Oeynhausen betreut. Im Januar 2009 erfolgte ihre Verlegung auf die kinderchirurgische Klinik des beklagten Krankenhauses zur diagnostischen operativen Biopsie mit dem Zweck des Ausschlusses eines Morbus Hirschsprung. Bei dem ärztlichen Aufklärungsgespräch war nur die Klägerin anwesend, die auch den anästhesistischen Aufklärungsboden allein unterzeichnete. Im Rahmen der kurz darauf durchgeführten Operation kam es zu Schwierigkeiten bei der Intubation und Beatmung des Kindes, so dass letztendlich vom operativen Eingriff abgesehen wurde. In der Folgezeit wurde das Kind fast durchgehend in Krankenhäusern behandelt, bevor es im Juli 2011 verstarb.
Behandlungsfehler nicht erkennbar
Von den Klägern behauptete
Kläger beanstanden mangelnde Aufklärung über Behandlungsalternativen
Im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm haben die Kläger weiter geltend gemacht, vor dem Eingriff der Beklagten nicht hinreichend über Risiken und Behandlungsalternativen aufgeklärt worden zu sein. Zudem habe der Kläger selbst keine
Aufklärung über Behandlungsrisiken ausreichend erfolgt
Die Schadensersatzklage blieb auch in der Berufungsinstanz erfolglos. Das Oberlandesgericht Hamm konnte keinen die Haftung der Beklagten begründenden Aufklärungsfehler feststellen. Die vom Oberlandesgericht durchgeführte Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Klägerin vor dem Eingriff hinreichend über die mit der Narkose verbundenen Behandlungsrisiken aufgeklärt worden sei. Weil es insoweit keine Behandlungsalternativen gegeben habe, habe über solche nicht aufgeklärt werden müssen.
Die
Einwilligung zur Behandlung des Kindes nur durch einen Elternteil in Ausnahmen möglich
Grundsätzlich müssten beide sorgeberechtigten
In Routinefällen (Ausnahmefall 1) dürfe der Arzt - bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände - davon ausgehen, dass der mit dem Kind bei ihm erscheinende Elternteil die
Gehe es um ärztliche Eingriffe schwerer Art mit nicht unbedeutenden Risiken (Ausnahmefall 2), müsse sich der Arzt vergewissern, ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen Elternteils habe und wie weit diese reiche. Dabei dürfe er aber - bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände - davon ausgehen, vom erschienenen Elternteil eine wahrheitsgemäße Auskunft zu erhalten.
Gehe es um schwierige und weitreichende Entscheidungen über die Behandlung des Kindes (Ausnahmefall 3), etwa um eine Herzoperation, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden seien, liege eine Ermächtigung des abwesenden Elternteils zur
Einwilligung für Biopsie durch nur einen Elternteil ausreichend
Die im vorliegenden Fall vorgesehene Biopsie sei als leichter bis mittelgradiger Eingriff mit normalen Anästhesierisiken zu bewerten und in die Kategorie des Ausnahmefalls 2 einzuordnen. Deswegen sei es ausreichend gewesen, dass sich der das Aufklärungsgespräch führende Arzt bei der Klägerin nach der
Werbung
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 17.11.2015
Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online
Urteile sind im Original meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst kostenlose-urteile.de alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Dokument-Nr. 21866
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://www.kostenlose-urteile.de/Urteil21866
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.
Senden Sie uns diese Entscheidungen doch einfach für kostenlose-urteile.de zu. Unsere Redaktion schaut gern, ob sich das Urteil für eine Veröffentlichung eignet.