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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.10.2012
5 C 22.11 -

Wechsel der Steuerklasse zur Minderung des Kostenbeitrags für Jugendhilfeeinrichtung ist rechtsmissbräuchlich

Vater eines in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebrachten Kindes begehrt Steuerklassenwechsel zur Erzielung einer Beitragsminderung

Der Vater eines in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebrachten Kindes kann den Kostenbeitrag für diese Unterbringung nicht durch einen Steuerklassenwechsel reduzieren, wenn dieser als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht.

In dem zugrunde liegenden Fall war der Sohn des Klägers wegen einer seelischen Behinderung vollstationär in einer speziellen Jugendhilfeeinrichtung aufgenommen (mtl. Kosten etwa 6 500 Euro). Daraufhin setzte das Jugendamt der beklagten Stadt nach Ermittlung des in den vergangenen zwölf Monaten von dem Kläger erzielten Durchschnittseinkommens einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 635 Euro fest. Für die Bemessung des Kostenbeitrags ist nach § 93 SGB VIII* das um Belastungen, insbesondere gezahlte Steuern, bereinigte Nettoeinkommen maßgeblich. Damals hatte der Kläger die Steuerklasse III und seine in geringem Umfang erwerbstätige Ehefrau die Steuerklasse V. Sie wurde auf Grund ihrer geringen Einkünfte nicht zu einem Kostenbeitrag herangezogen.

Steuerklassenwechsel nur zum Zweck der Kostenbeitragsminderung

Der Kläger beantragte eine Reduzierung des Kostenbeitrags unter Berufung auf sein gesunkenes Nettoeinkommen. Das Jugendamt stellte fest, dass das vom Kläger bezogene Bruttogehalt sich nicht verringert habe, sondern leicht angestiegen sei. Hingegen sei der (vorläufige) Steuerabzug des Klägers um etwa 900 Euro angestiegen, weil der Kläger freiwillig in die Steuerklasse V und seine Ehefrau in die Steuerklasse III gewechselt seien. Die Beklagte lehnte den Herabsetzungsantrag des Klägers ab, weil der Steuerklassenwechsel nur zum Zweck der Kostenbeitragsminderung erfolgt sei.

OVG: Steuerklassenwechsel jederzeit ohne Angabe von Gründen möglich

Während das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen hat, hat das Oberverwaltungsgericht der Berufung des Klägers u.a. mit Hinweis darauf stattgegeben, dass die Berechnung des Kostenbeitrags auf der Grundlage des monatlichen Durchschnittseinkommens zu beanstanden sei. Außerdem sei der hier vorgenommene Steuerklassenwechsel jederzeit ohne Angabe von Gründen möglich und mangels grob unbilligen Ergebnisses auch nicht rechtsmissbräuchlich.

BVerwG: Steuerklassenwahlrecht kann im Einzelfall nach Grundsatz von Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich sein

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Durchschnittsberechnung ist nicht zu beanstanden. Dem Oberverwaltungsgericht ist auch nicht darin zu folgen, dass die durch den Wechsel der Steuerklasse hervorgerufene Verringerung des Nettoeinkommens zwingend zu einer Herabsetzung des Kostenbeitrags führt. Die Ausübung des dem Bürger generell zustehenden Steuerklassenwahlrechts kann im Einzelfall nach dem Grundsatz von Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich sein, wenn dafür keine schutzwürdigen Gründe vorliegen und deshalb anzunehmen ist, dass der Steuerklassenwechsel vorwiegend zur Schmälerung des dem Jugendhilfeträger zustehenden Kostenbeitrags erfolgt ist. In diesem Fall ist die Minderung des Nettoeinkommens bei der Bemessung des Kostenbeitrags zu vernachlässigen. Ob die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs hier vorliegen, wird das Oberverwaltungsgericht bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung der Streitsache zu prüfen haben.

*Die maßgeblichen Bestimmungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) lauten:

§ 92 Ausgestaltung der Heranziehung

(1) Aus ihrem Einkommen nach Maßgabe der §§ 93 und 94 heranzuziehen sind: 1. - 4. 5. Elternteile zu den Kosten der in § 91 Absatz 1 genannten Leistungen und vorläufigen Maßnahmen; ….

(2) Die Heranziehung erfolgt durch Erhebung eines Kostenbeitrags, der durch Leistungsbescheid festgesetzt wird; Elternteile werden getrennt herangezogen.

(3) Ein Kostenbeitrag kann bei Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde. ….

(4) -(5)

§ 93 Berechnung des Einkommens (1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Grundrente nach oder entsprechend dem Bundesversorgungsgesetz sowie der Renten und Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für einen Schaden an Leben sowie an Körper und Gesundheit gewährt werden bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Eine Entschädigung, die nach § 253 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, geleistet wird, ist nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Geldleistungen, die dem gleichen Zwecke wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen, zählen nicht zum Einkommen und sind unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen. Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

(2) Von dem Einkommen sind abzusetzen 1. auf das Einkommen gezahlte Steuern und 2. Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung sowie 3. nach Grund und Höhe angemessene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen zur Absicherung der Risiken Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit.

(3) Von dem nach den Absätzen 1 und 2 errechneten Betrag sind Belastungen der kostenbeitragspflichtigen Person abzuziehen. In Betracht kommen insbesondere 1. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, 2. die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben, 3. Schuldverpflichtungen. Der Abzug erfolgt durch eine Kürzung des nach den Absätzen 1 und 2 errechneten Betrages um pauschal 25 vom Hundert. Sind die Belastungen höher als der pauschale Abzug, so können sie abgezogen werden, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen. Die kostenbeitragspflichtige Person muss die Belastungen nachweisen.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 12.10.2012
Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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