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Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26.04.2022
1 BvR 1619/17 -

Bayerisches Verfassungs­schutz­gesetz teilweise verfassungswidrig

Zahlreiche Vorschriften müssen bis Juli 2023 geändert werden

Das Bundes­verfassungsgericht hat entschieden, dass mehrere Vorschriften des Bayerischen Verfassungs­schutz­gesetzes (BayVSG) mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, weil die dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz darin eingeräumten Befugnisse teilweise gegen das allgemeine Persönlichkeits­recht (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung, teilweise in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informations­technischer Systeme, teilweise gegen das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und teilweise gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) verstoßen.

Das Bayerische Verfassungsschutzgesetz wurde 2016 neugefasst und dabei grundlegend neu strukturiert. Es unterscheidet zwischen allgemeinen Befugnissen der Informationsverarbeitung in Art. 5 BayVSG, der speziellen Befugnis zur Erhebung von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln in Art. 8 BayVSG und besonderen nachrichtendienstlichen Mitteln, die in Art. 9 bis Art. 19a BayVSG speziell geregelt sind. Die Informationsübermittlung einschließlich der Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt an andere Stellen ist allgemein in Art. 25 BayVSG geregelt. Spezielle Regeln für die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten, die durch eine Wohnraumüberwachung oder durch einen verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme erlangt wurden, finden sich in Art. 8b Abs. 2 BayVSG. Für die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten, die durch besondere Auskunftsersuchen nach Art. 15 Abs. 2 und 3 sowie nach Art. 16 Abs. 1 BayVSG erlangt wurden, enthält Art. 8b Abs. 3 BayVSG spezielle Anforderungen. Die Beschwerdeführer sind Mitglieder und zum Teil aktive Funktionsträger von Organisationen, die durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet und auch in dessen Verfassungsschutzberichten erwähnt werden. Sie wenden sich gegen verschiedene im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz geregelte Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse.

BVerfG: Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen Überwachungsbefugnisse richtet, ist sie hinsichtlich der Angriffe gegen Art. 15 Abs. 2 („Auskunft bei Postdienstleistern, Telekommunikationsdiensten und Telemedien“) und Art. 16 Abs. 1 BayVSG („weitere Auskunftsersuchen“) unzulässig, weil die Beschwerdebefugnis nicht hinreichend dargelegt wurde. Im Übrigen ist sie insoweit zulässig. Soweit Weiterverarbeitungs- und Übermittlungsbefugnisse angegriffen sind, ist sie zum Teil ebenfalls unzulässig. Nicht zulässig angegriffen sind die durch Art. 25 Abs. 1a BayVSG erlaubten Übermittlungen an Stellen im europäischen Ausland, soweit an nicht öffentliche Stellen übermittelt wird, weil die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dargelegt ist. Gleiches gilt für die Pflicht zur Übermittlung an Staatsanwaltschaften, Polizeien und andere aus Art. 25 Abs. 2 Satz 2 BayVSG sowie für die in Art. 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BayVSG geregelte Befugnis zur Übermittlung an nicht öffentliche Stellen. Unzulässig sind auch die Rügen hinsichtlich der im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz vorgesehenen Maßgaben zu Transparenz und Kontrolle. Das betrifft die Beanstandung von Art. 11 Abs. 2 Satz 3, Art. 17 Abs. 2 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 sowie Art. 23 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1 und Nr. 2 BayVSG.

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie weitgehend auch begründet. Aus den betroffenen Grundrechten folgen für das Handeln von Verfassungsschutzbehörden teilweise andere Anforderungen als an entsprechendes Handeln von Polizeibehörden. So müssen auf der einen Seite Überwachungsbefugnisse einer Verfassungsschutzbehörde grundsätzlich nicht an das Vorliegen einer Gefahr im polizeilichen Sinne gebunden werden, sondern kann der Gesetzgeber verfassungsschutzspezifische Eingriffsschwellen vorsehen („Erfordernis eines verfassungsschutzspezifischen Aufklärungsbedarfs“). Auf der anderen Seite setzt aber die Übermittlung personenbezogener Daten und Informationen durch eine Verfassungsschutzbehörde an andere Stellen - jedenfalls wenn die Daten mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden - ausnahmslos voraus, dass die Übermittlung dem Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsguts dient und dass auch die Übermittlungsschwelle dem Kriterium der hypothetischen Neuerhebung genügt („informationelles Trennungsprinzip“).

Verfassungsschutzbehörden nehmen nach dem geltenden Recht spezifische Aufgaben der Beobachtung und Vorfeldaufklärung zum Schutz überragend wichtiger Rechtgüter wahr und verfügen dabei nicht wie Polizeibehörden über operative Anschlussbefugnisse. Dies rechtfertigt es grundsätzlich, ihre Überwachungsbefugnisse an gegenüber polizeilichem Handeln modifizierte Eingriffsschwellen zu binden. Welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen heimliche Überwachungsbefugnisse einer Verfassungsschutzbehörde im Einzelnen unterliegen, folgt vor allem aus dem jeweils betroffenen Grundrecht und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Verfassungsrechtliche Anforderungen bestehen dabei hinsichtlich des zu schützenden Rechtsguts, der Eingriffsschwelle - also des Anlasses der Überwachung - und der eingriffsflankierenden Ausgestaltung des Verfahrens.

Maßnahmen, die zu einer weitestgehenden Erfassung der Persönlichkeit führen können, unterliegen denselben Verhältnismäßigkeitsanforderungen wie polizeiliche Überwachungsmaßnahmen. Sonstige heimliche Überwachungsbefugnisse von Verfassungsschutzbehörden müssen hingegen nicht an das Vorliegen einer Gefahr im polizeilichen Sinne geknüpft werden. Vorauszusetzen ist vielmehr ein hinreichender verfassungsschutzspezifischer Aufklärungsbedarf. Dies verlangt, dass hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine aus Verfassungsschutzgründen beobachtungsbedürftige Bestrebung vorliegen und dass die Überwachungsmaßnahme zu deren Aufklärung im Einzelfall geboten ist. Je höher das Eingriffsgewicht der Überwachungsmaßnahme ist, umso dringender muss das Beobachtungsbedürfnis sein. Der Gesetzgeber muss die Maßgaben zur jeweils erforderlichen Beobachtungsbedürftigkeit hinreichend bestimmt und normenklar regeln. Besondere Anforderungen bestehen, wenn Personen in die Überwachung einbezogen werden, die nicht selbst in der Bestrebung oder für die Bestrebung tätig sind. Je nach Eingriffsintensität der Maßnahme kann es zudem erforderlich sein, diese vor ihrer Durchführung einer Kontrolle durch eine unabhängige Stelle zu unterziehen.

Besondere Anforderungen stellt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne auch an die Übermittlungsbefugnisse einer Verfassungsschutzbehörde. Die Übermittlung personenbezogener Daten und Informationen durch eine Verfassungsschutzbehörde an andere Stellen begründet einen erneuten Grundrechtseingriff. Jedenfalls wenn die Daten mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, ist die Rechtfertigung des Übermittlungseingriffs nach dem Kriterium der hypothetischen Neuerhebung zu beurteilen. Danach kommt es darauf an, ob der empfangenden Behörde zu dem jeweiligen Übermittlungszweck eine eigene Datenerhebung und Informationsgewinnung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln wie der vorangegangenen Überwachung durch die Verfassungsschutzbehörde erlaubt werden dürfte. Eine Übermittlung setzt danach stets voraus, dass sie dem Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsguts dient. Die Anforderungen an die Übermittlungsschwelle unterscheiden sich hingegen danach, an welche Stelle übermittelt wird.

Die Übermittlung an eine Gefahrenabwehrbehörde setzt voraus, dass sie dem Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsguts dient, für das wenigstens eine hinreichend konkretisierte Gefahr besteht. Die Übermittlung an eine Strafverfolgungsbehörde kommt nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten in Betracht und setzt voraus, dass ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht vorliegt, für den konkrete und verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorhanden sind.

Auch die Übermittlung an eine sonstige Stelle ist nur zum Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsguts zulässig. Im Übrigen unterscheiden sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Übermittlungsschwelle hier nach dem Eingriffsgewicht, das auch davon abhängt, welche operativen Anschlussbefugnisse die empfangende Behörde hat. Eine Übermittlung an eine Verfassungsschutzbehörde kommt daher schon in Betracht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die Information zur Aufklärung einer bestimmten, nachrichtendienstlich beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung im Einzelfall benötigt. Für die Übermittlung ins Ausland gelten die gleichen Anforderungen wie für die inländische Übermittlung. Zusätzlich setzt sie einen datenschutzrechtlich angemessenen und mit elementaren Menschenrechtsgewährleistungen vereinbaren Umgang mit den übermittelten Informationen im Empfängerstaat und eine entsprechende Vergewisserung voraus.

Eine gesetzliche Ermächtigung für heimliche Überwachungsmaßnahmen muss zudem hinreichend normenklar und bestimmt sein. Das Gebot der Normenklarheit setzt der Verwendung gesetzlicher Verweisungsketten Grenzen. Unübersichtliche Verweisungskaskaden sind mit den grundrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar. Die zulässig angegriffenen Befugnisse des Landesamts für Verfassungsschutz sind daran gemessen nicht durchweg mit den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne vereinbar.

Wohnraumüberwachung, Online-Durchsuchung, Handy-Ortung

Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayVSG, der das Landesamt zur akustischen und optischen Wohnraumüberwachung ermächtigt, ist verfassungswidrig. Das Grundgesetz erlaubt in Art. 13 Abs. 4 GG akustische oder optische Wohnraumüberwachungen nur zur Abwehr dringender Gefahren. Die Maßnahme muss dabei final auf die „Abwehr“ der Gefahr ausgerichtet sein. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayVSG enthält eine solche Begrenzung nicht. Aus der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit, die Maßnahme an die Abwehr der Gefahr zu knüpfen, folgt zudem, dass einer Verfassungsschutzbehörde die Befugnis zur Wohnraumüberwachung nur subsidiär für den Fall eingeräumt werden darf, dass geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut ansonsten nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Auch das ist in Art. 9 Abs. 1 BayVSG nicht geregelt.

Weiterhin genügen die in Art. 8a Abs. 1 BayVSG allgemein geregelten Vorschriften zum Kernbereichsschutz den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Kernbereichsschutz bei der Überwachung von Wohnraum nicht vollständig. Auf der Erhebungsebene fehlt es an der hier verfassungsrechtlich gebotenen Vermutungsregelung zugunsten des Privatheitsschutzes, die ausdrücklich gesetzlich ausgestaltet werden muss. Auch auf der Auswertungsebene genügt Art. 8a Abs. 1 BayVSG den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, weil er nicht sicherstellt, dass alle aus der Überwachung stammenden Informationen vor einer Kenntnisnahme durch die Behörde vollständig durch eine unabhängige Stelle auf ihre Kernbereichsrelevanz hin gesichtet werden.

Art. 10 Abs. 1 BayVSG, der das Landesamt ermächtigt, mit technischen Mitteln Daten auf von den Betroffenen als eigene genutzten und ihrer Verfügung unterliegenden informationstechnischen Systemen zu erheben (sogenannte Online-Durchsuchung), ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als besonderer Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar. Eine Online-Durchsuchung darf nur zur „Abwehr“ einer mindestens konkretisierten Gefahr im polizeilichen Sinne zugelassen werden. Maßnahmen nach Art. 10 Abs. 1 BayVSG sind aber infolge der Verweisung auf die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 BayVSG nicht auf diese Zwecksetzung begrenzt. Außerdem darf einer Verfassungsschutzbehörde auch die Befugnis zur Online-Durchsuchung, wie die zur Wohnraumüberwachung, lediglich subsidiär eingeräumt werden.

Zudem entspricht der in Art. 8a Abs. 1 BayVSG allgemein geregelte Kernbereichsschutz nicht vollständig den speziellen Anforderungen, die bei der Online-Durchsuchung gelten. Auf der Erhebungsebene sind die in Art. 8a Abs. 1 Satz 1 und in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVSG enthaltenen Vorgaben zwar verfassungsgemäß. Unzureichend ist jedoch die Ausgestaltung des Kernbereichsschutzes auf der Auswertungsebene, weil nicht gewährleistet ist, dass alle aus der Überwachung stammenden Informationen vor einer Kenntnisnahme durch die Behörde vollständig durch eine unabhängige Stelle auf ihre Kernbereichsrelevanz hin gesichtet werden.

Art. 12 Abs. 1 BayVSG, der die Ortung von Mobilfunkendgeräten erlaubt, ist verfassungswidrig. Die Norm enthält keine hinreichend bestimmten Eingriffsvoraussetzungen. Ihrem Wortlaut nach ist die Erstellung von Bewegungsprofilen der Betroffenen nicht ausgeschlossen. Dies wäre ein schwerer Grundrechtseingriff. Will der Gesetzgeber dem Landesamt eine so weitgehende Befugnis zubilligen, muss er eine qualifizierte verfassungsschutzspezifische Eingriffsschwelle vorsehen. Dabei wäre eine gesteigerte Beobachtungsbedürftigkeit vorauszusetzen, und der Behörde müssten Anhaltspunkte dafür gegeben werden, wann von einer solchen auszugehen ist. Daran fehlt es. Weil die Befugnis zu einer länger andauernden Überwachung bis hin zur Erstellung eines umfänglichen Bewegungsprofils genutzt werden kann, bedarf es wegen des potentiell hohen Eingriffsgewichts zudem einer unabhängigen Vorabkontrolle. Diese fehlt.

Auskunft über Verkehrsdaten aus Vorratsdatenspeicherung, verdeckte Mitarbeiter, Vertrauensleute und Observierungen

Art. 15 Abs. 3 BayVSG ermöglicht den Abruf von Daten, die von den Diensteanbietern nach Regeln zur Vorratsdatenspeicherung gespeichert wurden. Die Abrufregelung ist nicht mit dem Gebot der Normenklarheit vereinbar und verstößt gegen Art. 10 Abs. 1 GG, weil sie zum Datenabruf ermächtigt, ohne dass die betroffenen Diensteanbieter nach Bundesrecht zur Übermittlung dieser Daten an das Landesamt verpflichtet oder berechtigt wären.

Die Regelung zum Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern nach Art. 18 Abs. 1 BayVSG verstößt jedenfalls gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, weil keine hinreichenden Eingriffsschwellen bestehen. Die hier zur Anwendung kommende allgemeine Regelung des Art. 5 Abs. 1 BayVSG, die insbesondere das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen oder Tätigkeiten genügen lässt, reicht angesichts der potentiell schwerwiegenden Grundrechtseingriffe, zu denen Art. 18 Abs. 1 BayVSG ermächtigt, nicht aus. Spezifische Anforderungen, etwa zur zulässigen Dauer des Einsatzes oder zu einer im Verhältnis zur Dauer steigenden Gefährlichkeit der zu beobachtenden Bestrebung, enthält das Gesetz nicht. Zudem fehlt eine Begrenzung des zulässigen Adressatenkreises für Fälle, in denen der Einsatz Verdeckter Mitarbeiter gezielt gegen bestimmte Personen gerichtet ist; insbesondere sind einer gezielten Einbeziehung Unbeteiligter in solche Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes von Verfassungs wegen enge Grenzen zu setzen. Verfassungswidrig ist Art. 18 BayVSG auch insofern, als keine unabhängige Vorabkontrolle vorgesehen ist.

Auch Art. 19 BayVSG, der unter Verweisung auf die Voraussetzungen des Art. 18 BayVSG den Einsatz von Vertrauensleuten regelt, verstößt jedenfalls gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Beim Einsatz von Vertrauensleuten gelten im Grundsatz die gleichen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Eingriffsschwellen und den Adressatenkreis wie beim Einsatz Verdeckter Mitarbeiter. Diese sind nicht erfüllt. Auch hier fehlen eine hinreichende Eingriffsschwelle, die Begrenzung des zulässigen Adressatenkreises, wenn der Einsatz von Vertrauensleuten gezielt gegen bestimmte Personen gerichtet ist, und eine unabhängige Vorabkontrolle.

Art. 19a Abs. 1 BayVSG, der dem Landesamt erlaubt, eine Person durchgehend länger als 48 Stunden oder an mehr als drei Tagen innerhalb einer Woche verdeckt auch mit technischen Mitteln planmäßig zu beobachten, verstößt gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Regelung enthält keine hinreichenden Eingriffsschwellen. Zwar sind Observationen nach Art. 19a Abs. 1 letzter Halbsatz BayVSG nur zulässig, wenn dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten mit „erheblicher Bedeutung“ erforderlich ist. Dass für besonders eingriffsintensive langfristige Observationen zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein besonders gesteigerter Beobachtungsbedarf bestehen muss und wonach sich dieser richtet, ist damit jedoch nicht hinreichend bestimmt vorgegeben. Zudem fehlt auch hier die verfassungsrechtlich gebotene Regelung einer unabhängigen Vorabkontrolle.

Informationsübermittlung

Soweit Art. 25 BayVSG zulässig angegriffen wurde, verstoßen die darin geregelten Übermittlungsbefugnisse gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung. Sie genügen nicht dem Kriterium der hypothetischen Neuerhebung.

Indem Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 2. Alternative BayVSG eine Übermittlung an inländische Stellen „für Zwecke der öffentlichen Sicherheit“ ermöglicht, statuiert er keine hinreichende Übermittlungsvoraussetzung. Denn damit ist die Übermittlung nicht auf den Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern beschränkt, sondern kann jeglicher Normverstoß Anlass für die Übermittlung sein. Darüber hinaus fehlt die verfassungsrechtlich gebotene Übermittlungsschwelle, weil lediglich vorausgesetzt wird, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Empfänger die Information benötigt. Das genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen hier nicht.

Art. 25 Abs. 1 Nr. 3 BayVSG erlaubt dem Landesamt unter bestimmten Voraussetzungen die Übermittlung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten an jegliche inländische öffentliche Stelle, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass der Empfänger die Informationen zur Erfüllung ihm zugewiesener Aufgaben benötigt, sofern er dabei auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beizutragen oder Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit oder auswärtige Belange zu würdigen hat. Damit sind die zu schützenden Rechtsgüter nicht hinreichend konkret bezeichnet und ist keine hinreichende Übermittlungsschwelle vorgegeben.

Der, soweit er Übermittlungen von Informationen durch das Landesamt an öffentliche Stellen im europäischen Ausland regelt, zulässig angegriffene Art. 25 Abs. 1a BayVSG, teilt die verfassungsrechtlichen Defizite von Absatz 1, weil er auf diesen uneingeschränkt verweist. Art. 25 Abs. 2 Satz 1 BayVSG, der zur Übermittlung an Behörden mit eigenen Exekutivbefugnissen ermächtigt, ist, soweit er zulässig angegriffen ist, verfassungswidrig. Satz 1 Nr. 2 regelt die Übermittlung zur Verhinderung oder sonstigen Verhütung oder zur Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. Dies bleibt in allen drei Alternativen hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen zurück. Das gilt auch für Satz 1 Nr. 3.

Auch Absatz 3 Satz 1 Nr. 2, der zur Übermittlung an ausländische öffentliche Stellen sowie an über- und zwischenstaatliche Stellen ermächtigt, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Die Norm lässt tatsächliche Anhaltspunkte dafür genügen, dass die Übermittlung zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Ein konkreter Ermittlungsanlass im polizeilichen oder im nachrichtendienstlichen Sinn ist damit nicht bezeichnet.

Art. 8b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayVSG, der die Weiterverarbeitung und Übermittlung von Daten aus Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchung regelt, verstößt gegen Art. 13 GG und gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer Systeme. Er genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine dynamische Verweisung nicht. Dynamische Verweisungen auf durch einen anderen Normgeber erlassene Regelungen sind insbesondere in Bestimmungen, die zu Grundrechtseingriffen ermächtigen, verfassungsrechtlich nur unter strengen Voraussetzungen zulässig. Sie können zulässig sein, wenn die in Bezug genommenen Regelungen ein eng umrissenes Feld betreffen und deren Inhalt im Wesentlichen bereits feststeht. Das ist bei der dynamischen Verweisung auf § 100 b Abs. 2 StPO jedoch nicht der Fall.

Art. 8b Abs. 3 BayVSG, der die Weiterverarbeitung und Übermittlung von personenbezogenen Daten aus Auskunftsersuchen nach Art. 15 Abs. 2 und 3 und Art. 16 Abs. 1 BayVSG regelt, verstößt teilweise gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung und teilweise gegen Art. 10 Abs. 1 GG. Art. 8b Abs. 3 BayVSG enthält selbst keine Regelung dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen die aus einer Abfrage erlangten Daten weiterverwendet und übermittelt werden dürfen, sondern verweist vollständig auf eine entsprechende Anwendung des § 4 G 10. Auch diese dynamische Verweisung auf Regelungen eines anderen Normgebers ist unzulässig, weil die in Bezug genommenen Bestimmungen kein eng umrissenes Feld betreffen, so dass deren Inhalt im Wesentlichen bereits feststünde. Der Verweis verstößt zudem gegen das Gebot der Normenklarheit, weil die hier enthaltenen Verweisungen das verfassungsrechtlich zulässige Maß vielgliedriger Verweisungsketten überschreiten.

Gesetzgeber muss bis Ende Juli 2023 nachbessern

Im Übrigen sind die beanstandeten Vorschriften lediglich mit der Verfassung unvereinbar und gelten vorübergehend - mit Blick auf die betroffenen Grundrechte jedoch nach einschränkenden Maßgaben - bis zum Ablauf des 31. Juli 2023 fort.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 28.04.2022
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/cc)

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Kommentare (1)

 
 
Heinz-Peter Martin schrieb am 29.04.2022

da hat mal ein bayerischer Innenminister namens Hermann Höcherl, dem einst Verfassungsbruch vorgeworfen worden war,

sich mit der Behauptung zu verteidigen versucht, man könne nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.

So ist es! Jedenfalls in Bayern.

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