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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.12.2009
- 2 BvR 758/07 -
BVerfG: Kürzung des Ausgleichsbetrags für öffentlichen Personennahverkehr ist verfassungswidrig
Änderung des Personenbeförderungsgesetzes nicht in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen
Die seit 2004 geltende Kürzung des Ausgleichsbetrags für Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs ist wegen Mängel im Gesetzgebungsverfahren verfassungswidrig. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht.
Auszubildende werden von den Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs in der Regel zu ermäßigten Entgelten befördert, ohne dass darauf ein gesetzlicher Anspruch besteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der Unternehmer aus Gründen des Gemeinwohls die Tarife jedoch innerhalb der Grenzen der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens nach Regel-, Sozial- und Ermäßigungstarifen staffeln. Der Unternehmer hat es damit durch seine Tarifgestaltung in der Hand, im Rahmen einer kostendeckenden und gewinnerzielenden Unternehmenspolitik etwaige Mindereinnahmen aus einzelnen Verkehrsleistungen wie dem Schülerverkehr durch eine Erhöhung der Tarife an anderer Stelle auszugleichen. Daneben gewährt der Staat seit 1977 den Unternehmen für die Beförderung von Auszubildenden unter bestimmten gesetzlich festgelegten Voraussetzungen zusätzlich eine Ausgleichsleistung nach Maßgabe des § 45 a Abs. 2 Satz 1 PBefG. Nach § 45 a Abs. 2 Satz 3 PBefG, der durch Art. 24 des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 eingefügt wurde, wurde dieser Ausgleichsbetrag für 2004 um 4 % und für die Folgejahre noch weiter verringert.
Hintergrund
Das Haushaltsbegleitgesetz 2004 beruht auf einem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der vor allem wesentliche Elemente des Haushaltsstabilisierungskonzeptes 2003 der Bundesregierung, unter anderem den Abbau von
In den Sitzungen sowohl des Haushaltsausschusses als auch des Finanzausschusses am 15. Oktober 2003 stellten der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dieckmann, und der Minister für Europa- und Bundesangelegenheiten des Landes Hessen, Riebel, die Vorschläge der Arbeitsgruppe Koch/Steinbrück teilweise vor; sie baten darum, diese in die Beratungen des Gesetzentwurfs miteinzubeziehen. Beide Ausschüsse sprachen sich dafür aus, den Gesetzentwurf in zum Teil geänderter Fassung, jedoch ohne Berücksichtigung des Koch/Steinbrück-Papiers anzunehmen.
In der zweiten und dritten Beratung des Deutschen Bundestages zum Haushaltsbegleitgesetz 2004 am 17. Oktober 2003 wurden die Vorschläge zum Subventionsabbau der Ministerpräsidenten von Hessen und Nordrhein-Westfalen zwar erwähnt, einzelne Punkte des Papiers aber nicht erörtert. Der Gesetzentwurf wurde in zweiter Beratung sowie in der Schlussabstimmung in der Ausschussfassung angenommen.
Inkrafttreten des geänderten Personenbeförderungsgesetzes im Januar 2004
Der Bundesrat verlangte im zweiten Durchgang die Einberufung des Vermittlungsausschusses unter anderem mit dem Ziel, die Vorschläge der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück in den Gesetzentwurf einzubeziehen. Der Vermittlungsausschuss einigte sich am 16. Dezember 2003 auf einen Vorschlag zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes; die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses wurde in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 19. Dezember 2003 angenommen. Der Bundesrat stimmte dem Gesetz mit der Mehrheit seiner Stimmen am 29. Dezember 2003 zu. Das Gesetz wurde am 31. Dezember 2003 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat am 1. Januar 2004 in Kraft.
Beschwerdeführerin beanstandet nicht ordnungsgemäß zustande gekommene Kürzungsvorschrift
Die Beschwerdeführerin befördert Personen, darunter auch
Kürzung des Ausgleichsbetrags ist verfassungswidrig, aber nicht nichtig
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die
Vermittlungsausschuss hat kein eigenes Gesetzesinitiativrecht
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde.
Die Kompetenzen des Vermittlungsausschusses und seine Funktion und Stellung im Gesetzgebungsverfahren sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt. Der Vermittlungsausschuss hat kein eigenes Gesetzesinitiativrecht, sondern ihm kommt lediglich die Aufgabe zu, auf der Grundlage des Gesetzesbeschlusses und des vorherigen Gesetzgebungsverfahrens Änderungsvorschläge zu erarbeiten, die sich ausgehend vom Anrufungsbegehren im Rahmen der parlamentarischen Zielsetzung des Gesetzgebungsvorhabens bewegen und die jedenfalls im Ansatz sichtbar gewordenen politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschem
Die Kompetenzverteilung im Verhältnis zwischen den Gesetzgebungsorganen weist dem Deutschen
Vermittlungsausschuss fehlt Kompetenz zur Aufnahme einer Änderung des Personenbeförderungsgesetzes in Vermittlungsvorschlag
Die Änderung des Personenbeförderungsgesetzes durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 ist nicht in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen. Die Einbringung des Koch/Steinbrück-Papiers in das parlamentarische Verfahren des Deutschen Bundestages und seine Behandlung in dessen Ausschüssen sowie im Plenum eröffneten dem Vermittlungsausschuss nicht die Kompetenz, eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes in den Vermittlungsvorschlag aufzunehmen. Die Vorschläge des Koch/Steinbrück-Papiers waren - zumindest in Bezug auf die
Sachliche Tragweite des Regelungsgegenstandes vor Gesetzesbeschluss nicht erkennbar
Die Vorschläge zur
Das Defizit an Konkretisierung ist ebenfalls durch die Behandlung des Koch/Steinbrück-Papiers in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages und durch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushaltsausschusses nicht ausgeräumt worden, da die Minister bei der Darstellung des Papiers nicht über die Erwähnung von Beispielen hinausgingen.
Ebenso führt auch die verschiedentliche Erwähnung des Koch/Steinbrück-Papiers in den drei Lesungen des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 im Plenum des Deutschen Bundestages nicht dazu, dass dessen Liste der Finanzhilfen durch den Vermittlungsausschuss hätte aufgenommen werden dürfen. Den verfassungsrechtlich garantierten Informations- und Mitwirkungsrechten der Abgeordneten ist auf den vom Grundgesetz und der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgesehenen Wegen Rechnung zu tragen. Sinn des Grundsatzes der Parlamentsöffentlichkeit ist es, den Inhalt der parlamentarischen Debatte öffentlich zu machen.
Koch/Steinbrück-Papier wurde Abgeordneten in unverbindlicher Weise präsentiert
Die Art der Einbringung des Koch/Steinbrück-Papiers in das parlamentarische Verfahren genügte darüber hinaus nicht den Anforderungen an die Förmlichkeit des Gesetzgebungsverfahrens; denn das Koch/Steinbrück-Papier wurde nicht als Bundesratsinitiative (Art. 76 Abs. 1 GG) in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Die Landesminister Dieckmann und Riebel traten in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages auf der Grundlage des Rederechts nach Art. 43 Abs. 2 Satz 2 GG auf. Bei dem Rederecht handelt es sich nicht um eine dem Bundesrat als Verfassungsorgan insgesamt zustehende Befugnis, sondern um ein Individualrecht der einzelnen Bundesratsmitglieder. Daher brachten die Minister das Papier nicht als Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ein; vielmehr handelt es sich um Material, das den Ausschüssen und den Abgeordneten des Deutschen Bundestages in unverbindlicher Weise präsentiert wurde.
Berufen auf Auftrag zur grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes als Rechtfertigung nicht ausreichend
Die Einbeziehung der Inhalte des Koch/Steinbrück-Papiers in den Beschlussvorschlag des Vermittlungsausschusses lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass der Bundesrat in seinem Anrufungsbegehren verlangte, das Gesetz grundlegend zu überarbeiten und die Vorschläge der Ministerpräsidenten Roland Koch und Peer Steinbrück zum Abbau von Steuervergünstigungen und Finanzhilfen einzubeziehen. Die Anrufung käme dann einer Gesetzesinitiative gleich, die nur auf dem verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Weg zulässig ist. Dem Deutschen
Verfahren der Änderung des Personenbeförderungsgesetzes mit dem Grundgesetz nicht vereinbar
Der Mangel im Gesetzgebungsverfahren berührt die Gültigkeit der angegriffenen Norm, weil er evident ist. Für die an der Gesetzgebung beteiligten Organe war im Jahr 2003 bei verständiger Würdigung erkennbar, dass das Verfahren der Änderung des Personenbeförderungsgesetzes durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 mit dem Grundgesetz nicht vereinbar war. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe waren bereits durch das Senatsurteil vom 7. Dezember 1999 geklärt. Der Umstand, dass seinerzeit der notwendige politische Kompromiss voraussichtlich nur im Vermittlungsausschuss zu erreichen war, rechtfertigt eine Abkürzung des Verfahrens im Deutschen
Konsolidierung öffentlicher Haushalte ist legitimes Ziel des Gesetzgebers
Sonstige Verfassungsverstöße liegen nicht vor. § 45 a Abs. 2 Satz 3 Variante 1 PBefG ist materiell verfassungsgemäß. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Verkehrsunternehmen, das Leistungen im öffentlichen Personennahverkehr erbringt, unterfällt dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG. Ob die Regelung darüber hinaus berufsregelnde Tendenz hat, kann hier dahinstehen, weil sie anerkannten Gemeinwohlbelangen dient und die Betroffenen nicht unverhältnismäßig belastet. Die Berücksichtigung der Gemeinwohlbelange bei der Gestaltung der Tarife im öffentlichen Personennahverkehr erfordert es, die Personengruppe der Schüler und Auszubildenden zu bevorzugen. Die Erhöhung des Tarifniveaus an anderer Stelle findet jedoch ihre Grenze in den öffentlichen Verkehrsinteressen, im Besonderen in der Aufnahmefähigkeit des Marktes. Funktion des Ausgleichs nach § 45 a PBefG ist es, diese Lücke zu füllen und die Überlebensfähigkeit des öffentlichen Personennahverkehrs zu sichern. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, hier der Haushalte der Länder, die nach § 45 a Abs. 3 Satz 1 PBefG zur Gewährung des Ausgleichs verpflichtet sind, ist ein legitimes Ziel des Gesetzgebers. Es ist nicht ersichtlich, dass die
Weitere Anwendbarkeit endet spätestens mit Neuregelung Ende Juni 2011
Aus der Unvereinbarkeit der angegriffenen Regelung des § 45 a Abs. 2 Satz 3 Variante 1 PBefG mit dem Grundgesetz folgt nicht die Nichtigkeit der Norm, weil sonst dem gesetzgeberischen Konzept des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 rückwirkend die Grundlage entzogen würde. Um dem Interesse verlässlicher Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für weitgehend schon abgeschlossene Zeiträume Rechnung zu tragen, bleibt die Norm daher vorläufig anwendbar. Die weitere Anwendbarkeit endet jedoch mit einer Neuregelung, spätestens am 30. Juni 2011.
Nicht zugelassene Berufung verletzt Beschwerdeführerin in Grundrechten
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung abgelehnt wurde, verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG; denn das Oberverwaltungsgericht hat hier in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu vereinbarenden Weise die Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO überspannt. Darüber hinaus hat es angesichts der formellen
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 20.01.2010
Quelle: ra-online, BVerfG
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Dokument-Nr. 9085
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