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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 01.11.2005
- BVerwG 1 C 21.04 -
Zum Widerruf einer Asylanerkennung - Allgemeine Gefahren irrelevant
Allgemeine Gefahren im Herkunftsland für Widerruf der Asylanerkennung nach Regimewechsel irrelevant
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen nach einem Regimewechsel (hier: in Afghanistan) die Anerkennung als Asylberechtigter zu widerrufen ist.
Der Kläger, ein aus Kabul stammender afghanischer Staatsangehöriger, reiste 1989 nach Deutschland ein. 1991 erkannte ihn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) als Asylberechtigten und als politischen Flüchtling an, weil er von dem früheren kommunistischen Regime in Afghanistan politisch verfolgt worden war.
1996 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Im Juni 2000 widerrief das Bundesamt die Asylanerkennung des Klägers. Zur Begründung führte es aus, das Gesetz sehe einen derartigen Widerruf vor, wenn die Annerkennungsvoraussetzungen nicht mehr vorlägen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz). Dies sei hier der Fall, weil in Afghanistan keine der Verfolgung fähige staatliche oder staatsähnliche Gewalt mehr vorhanden sei. Die hiergegen gerichtete Klage blieb in der ersten und zweiten Instanz erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat angenommen, dass die Zumutbarkeit der Rückkehr in das Herkunftsland grundsätzlich das Bestehen eines schutzfähigen Staates voraussetzt, der indessen in Afghanistan nicht existiere. Der Widerruf sei gleichwohl zu Recht erfolgt, weil es hier an der Kausalität zwischen der zur Asylanerkennung führenden Verfolgung und den für eine Rückkehr bedeutsamen Umständen fehle.
Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Tatsachenfeststellung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Es hat entschieden, dass die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung insbesondere zu widerrufen ist, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Dann kann die betroffene Person, wie von der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vorgesehen, „nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen …, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt“ (Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK).
Diese Klausel, die bei der Auslegung der Widerrufsbestimmungen zu berücksichtigen ist, bezieht sich nach dem heutigen Urteil ausschließlich auf den Schutz vor erneuter Verfolgung. Gegen den Widerruf kann der Ausländer dagegen nicht einwenden, dass ihm im Heimatstaat nunmehr sonstige, namentlich allgemeine Gefahren (z. B. auf Grund einer schlechten Versorgungslage) drohen. Ob ihm deswegen eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nach den Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts (Aufenthaltsgesetz) gewährt werden.
Das Oberverwaltungsgericht wird die auf zu schmaler Tatsachengrundlage erfolgte Prüfung einer Verfolgung des Klägers bei Rückkehr nach Afghanistan unter Beachtung der dargestellten Maßstäbe erneut vorzunehmen haben. Im Rahmen der Entscheidung über den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft wird das Oberverwaltungsgericht zusätzlich prüfen müssen, ob dem Kläger eine Verfolgung von nichtstaatlicher Seite droht, wie sie nach dem seit dem 1. Januar 2005 geltenden neuen Aufenthaltsgesetz zu berücksichtigen ist (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 Aufenthaltsgesetz).
Unabhängig hiervon wäre der angefochtene Widerrufsbescheid rechtmäßig, wenn der Kläger im Hinblick auf die von ihm begangenen Straftaten und eine von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet (vgl. § 60 Abs. 8 Aufenthaltsgesetz). Auch dann würden nämlich die Voraussetzungen der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht mehr vorliegen (vgl. künftig Art. 14 Abs. 4 der noch nicht umgesetzten EG-Richtlinie 2004/83). Sollte es hierauf ankommen, so wird das Oberverwaltungsgericht insoweit weitere Feststellungen zu treffen haben. Die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung, auf die das Oberverwaltungsgericht verweist, rechtfertigt allein noch nicht die Verneinung einer Wiederholungsgefahr.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 03.11.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 55/05 des BVerwG vom 01.11.2005
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