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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 03.02.2011
35637/03 -

EGMR: Vater eines unehelichen Kindes durch Ausschluss gerichtlicher Einzelfallprüfung der Sorgerechtsregelung diskriminiert

Rechte österreichischer Väter beim Streit ums Sorgerecht für uneheliche Kinder gestärkt

Der Ausschluss einer gerichtlichen Einzelfallprüfung für eine Sorgerechtsregelung stellt eine Diskriminierung des Vater eines unehelichen Kindes dar und verletzt das Diskriminierungsverbot aus Artikel 14 in Verbindung mit dem Recht auf Achtung des Familienlebens aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Falls, Gerald Sporer, ist österreichischer Staatsangehöriger, 1976 geboren, und lebt in Schalchen. Im Mai 2000 wurde sein Sohn K. unehelich geboren. Die Mutter des Kindes lebte zu diesem Zeitpunkt im selben Haus wie Gerald Sporer, der in einer anderen Wohnung mit seiner langjährigen Partnerin und ihrem gemeinsamen Sohn zusammenlebte. Im ersten Lebensjahr des Sohnes kümmerten sich Gerald Sporer und die Mutter des Kindes abwechselnd um das Kind und nahmen nacheinander Erziehungsurlaub.

Vater beantragt alleiniges Sorgerecht

Nachdem die Mutter im Januar 2002 ausgezogen war, beantragte Gerald Sporer beim Bezirksgericht die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sich mit dem Argument, dass die Mutter seines Kindes nicht angemessen in der Lage sei, sich um das Kind zu kümmern. Die Mutter stellte sich der Übertragung des Sorgerechts entgegen und das Jugendamt vertrat die Auffassung, dass beide Eltern in der Lage seien, sich um das Kind zu kümmern.

Gutachter bestätigen: Kindeswohl durch den Verbleib des Sorgerechts bei der Mutter nicht gefährdet

In einer mündlichen Verhandlung vor dem Bezirksgericht einigten sich die Parteien zunächst, dass das Kind bis zu einer Entscheidung mit beiden Elternteilen jeweils die halbe Woche verbringen würde. Ein auf Antrag Gerald Sporers vom Gericht berufener kinderpsychologischer Sachverständiger vertrat in einem Gutachten, das in einer zweiten Gerichtsverhandlung erörtert wurde, dass die Mutter unreif und nicht in der Lage sei, sich um das Kind zu kümmern. Ein anschließend vom Gericht berufener zweiter Sachverständiger widersprach dieser Einschätzung. Ein dritter Sachverständiger bestätigte in einem Obergutachten die Auffassung des zweiten Gutachters und vertrat, dass das Kindeswohl durch den Verbleib des Sorgerechts bei der Mutter nicht gefährdet sei. Gerald Sporer machte nicht von der Möglichkeit Gebrauch, eine schriftliche Stellungnahme einzureichen, beantragte aber die Erörterung des Gutachtens in einer weiteren Verhandlung.

Antrag auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater ohne weitere Verhandlung abgelehnt

Das Gericht lehnte den Antrag Gerald Sporers auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts im Dezember 2002 ohne eine weitere Verhandlung ab und verwies darauf, dass das alleinige Sorgerecht nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch automatisch der Mutter zufalle, es sei denn, das Kindeswohl würde dadurch gefährdet. Das Landesgericht Ried bestätigte die Entscheidung und der Oberste Gerichtshof lehnte die Berufung Gerald Sporers dagegen im Juni 2003 ab. Die Kindsmutter hat weiterhin das alleinige Sorgerecht für das Kind, während Gerald Sporer Recht auf Umgang mit ihm gemäß einer vom Gericht empfohlenen Regelung hat.

Vater sieht sich durch Bürgerlichen Gesetzbuch als Vater eines unehelichen Kindes diskriminiert

Unter Berufung auf Artikel 6 § 1 (Recht auf ein faires Verfahren) machte Gerald Sporer geltend, dass ihm das Bezirksgericht nicht die Möglichkeit gegeben habe, in einer mündlichen Verhandlung zu dem entscheidenden Obergutachten Stellung zu nehmen. Unter Berufung auf Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) in Verbindung mit Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) sah er sich zudem nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch als Vater eines unehelichen Kindes diskriminiert, zum einen gegenüber der Mutter, da er gegen deren Willen keine Möglichkeit habe, das gemeinsame Sorgerecht zu erhalten, und zum anderen gegenüber verheirateten und geschiedenen Vätern, da diese nach Trennung oder Scheidung von der Kindsmutter das gemeinsame Sorgerecht behalten könnten.

EGMR verneint Verstoß gegen Recht auf faires Verfahren

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte fest, dass Gerald Sporer das Recht auf eine Verhandlung hatte, da keinerlei außerordentliche Umstände vorgelegen hatten, die den Verzicht darauf gerechtfertigt hätten; noch betraf das Verfahren lediglich formale oder rein rechtliche Fragen. Zudem stellt der persönliche Eindruck der Eltern in einem Sorgerechtsverfahren einen wichtigen Aspekt dar. Der Gerichtshof stellte weiterhin fest, dass vor dem Bezirksgericht zwei Verhandlungen, eine zur Vorbreitung und eine weitere in der Sache, stattgefunden hatten. Sie hatten es dem Gericht ermöglicht, einen persönlichen Eindruck beider Parteien zu gewinnen, und den Parteien die Gelegenheit gegeben, die verschiedenen Gesichtspunkte des Falls zu erörtern. Der Gerichtshof zeigte sich vom Argument des Bezirksgerichts überzeugt, dass eine weitere Verhandlung nicht notwendig gewesen sei, da das dritte Sachverständigengutachten schlüssig und alle Sach- und Rechtsfragen hinreichend geklärt gewesen seien. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass Gerald Sporer nicht weitere schriftliche Stellungnahmen hätte einreichen können, sofern er dies gewünscht hätte. Das entscheidende Obergutachten war adversatorisch auf Grundlage von Interviews und schriftlichen Stellungnahmen beider Parteien erstellt worden.

Der Gerichtshof kam daher zu dem Schluss, dass keine Verletzung von Artikel 6 § 1 vorlag.

Zuweisung des Sorgerechts stellt Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers in seiner Eigenschaft als Vater eines unehelichen Kindes gegenüber der Mutter dar

Der Gerichtshof unterstrich zunächst, dass, wie zwischen den Parteien unumstritten war, die Beziehung Gerald Sporers zu seinem Sohn angesichts der Tatsache, dass er Erziehungsurlaub genommen und sich weiterhin regelmäßig um ihn gekümmert hatte, als „Familienleben“ im Sinne von Artikel 8 zu gelten hat. Im Verfahren um das Sorgerecht für Gerald Sporers Sohn hatten die österreichischen Gerichte nicht darüber zu befinden gehabt, ob ein gemeinsames Sorgerecht im Kindeswohlinteresse läge, da für die gerichtliche Prüfung dieser Frage nach dem österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuch die Zustimmung der Mutter erforderlich war; Die Kindsmutter hatte ihre Zustimmung dazu aber nicht gegeben. Die Gerichte hatten auch nicht darüber zu entscheiden, welcher Elternteil besser in der Lage wäre, das Sorgerecht auszuüben. Sie hatten lediglich festzustellen, ob die Mutter das Kindeswohl gefährdete. Auf Grundlage des entscheidenden Obergutachtens hatten sie den Antrag Gerald Sporers auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts abgelehnt. Folglich lag hinsichtlich der Zuweisung des Sorgerechts eine Ungleichbehandlung Gerald Sporers in seiner Eigenschaft als Vater eines unehelichen Kindes gegenüber der Mutter, und zugleich gegenüber verheirateten Vätern, vor.

Gericht zieht Parallel zu Fall Zaunegger gegen Deutschland

Im Hinblick auf die anfängliche Zuweisung des Sorgerechts für ein uneheliches Kind an dessen Mutter sah der Gerichtshof keinen Grund, zu einem anderen Schluss zu kommen als im Fall Zaunegger gegen Deutschland. In diesem Fall hatte er befunden, dass, sofern keine gemeinsame Sorgeerklärung vorliegt, eine solche Regelung gerechtfertigt ist, um zu gewährleisten, dass das Kind ab seiner Geburt eine Person hat, die klar als gesetzlicher Vertreter handeln kann.

Mehrheit der Staaten orientiert sich Sorgerechtsentscheidungen am Kindeswohlinteresse

Im Fall Zaunegger hatte der Gerichtshof allerdings nicht die Annahme geteilt, dass ein gemeinsames Sorgerecht gegen den Willen der Mutter grundsätzlich dem Kindeswohl zuwiderlaufe. Zwar gibt es in den Europaratsmitgliedstaaten keine einheitliche rechtliche Herangehensweise an die Frage, ob Väter unehelicher Kinder das Recht haben, das gemeinsame Sorgerecht auch gegen den Willen der Mutter zu beantragen. In einer Mehrheit der Staaten müssen sich Sorgerechtsentscheidungen allerdings am Kindeswohlinteresse orientieren und im Fall eines Konflikts zwischen den Eltern gerichtlich überprüft werden.

Möglichkeiten, dass gemeinsames Sorgerecht im Kindeswohlinteresse läge, von österreichischen Gerichten nicht geprüft worden

Das österreichische Recht sah im Fall Gerald Sporers keinerlei gerichtliche Prüfungsmöglichkeiten der Frage vor, ob ein gemeinsames Sorgerecht im Kindeswohlinteresse läge, oder ob ihm, falls das gemeinsame Sorgerecht diesem Interesse zuwiderliefe, besser durch die Zuweisung des Sorgerechts an die Mutter oder den Vater gedient wäre. Die österreichische Regierung hatte keine hinreichenden Gründe angegeben, warum die Situation Gerald Sporers, der seine Rolle als Vater von Anfang an angenommen hatte, weniger gerichtliche Prüfungsmöglichkeiten zulassen sollte als diejenige von Vätern, die zunächst das Sorgerecht hatten und sich später von der Kindesmutter trennten oder scheiden ließen. Folglich lag eine Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 vor.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 04.02.2011
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online

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