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Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.12.2010
6 V 1924/10 -

FG Rheinland-Pfalz äußert Zweifel an Rechtmäßigkeit einer Umsatzsteuerfestsetzung nach fast 10 jähriger Unterbrechung der Steuerfahndungsprüfung

Finanzämter dürfen Steuerfahndungsverfahren nicht unbegrenzt ausdehnen

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob eine Umsatzsteuerfestsetzung, die nach fast 10 jähriger Unterbrechung der Steuerfahndungsprüfung ergeht, rechtmäßig ist. Dies geht aus einer Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz hervor.

Im Streitfall wurde bei dem Antragsteller im Oktober 1998 ein Strafverfahren wegen u.a. des Verdachts der Hinterziehung von Umsatzsteuer eingeleitet und eine Steufahndung begonnen, weil festgestellt worden war, dass der Antragsteller und seine Ehefrau im Jahre 1993 anonym 390.000 DM nach Luxemburg transferiert hatten. Nachdem zunächst Ermittlungen bei Banken durchgeführt wurden, wurde im Dezember 1998 die Steufahndung aus in der Sphäre des Finanzamtes liegenden Gründen unterbrochen, im November 2008 wurde die Prüfung fortgesetzt. Nach einer Schlussbesprechung ergingen im Mai 2010 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1991 bis 1995.

Finanzamt lehnt Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab

Nachdem das Finanzamt den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, wandte sich dieser mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz, den er dahin begründete, dass zum Zeitpunkt der geänderten USt Bescheide im Mai 2010 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen sei. Die Gründe für die Unterbrechung des Verfahrens lägen allein beim Finanzamt. Dagegen war das Finanzamt der Ansicht, der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sei abzulehnen. Wegen Überlastung der Prüferin habe die Prüfung Ende 1998 unterbrochen werden müssen. Es habe zwischen den Beteiligten Einigkeit bestanden, dass die Festsetzungsverjährung unterbrochen und eine Änderung der Steuerfestsetzungen möglich gewesen sei; außerdem sei hinsichtlich sämtlicher Steuerfestsetzungen der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, danach gelte die erweiterte zehnjährige Festsetzungsverjährung.

Festsetzungsverjährung ist eingetreten – Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zulässig

Das Finanzamt Rheinland-Pfalz gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt und führte u.a. aus, im Streitfall gelte die Besonderheit, dass sich die Einleitung des Strafverfahrens ausdrücklich nur auf die USt für das Jahr 1992 beziehe. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten sei nicht erkennbar, dass die Prüfung im Jahr 1998 auf die USt der übrigen Streitjahre erweitert worden sei, d.h., die umsatzsteuerlich relevanten Sachverhalte seien ausnahmslos erst nach der Wiederaufnahme der Prüfung ermittelt worden. Damit sei für die Jahre 1991 und 1993 bis 1995 Festsetzungsverjährung eingetreten.

Steuerbehörde darf den Bürger belastende Verfahren nicht unbegrenzt ausdehnen

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sei aber auch im Hinblick auf eine evtl. Verwirkung geboten. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei die Einleitung eines Strafverfahrens zur Unterbrechung der Festsetzungsverjährung ohne weiteres ausreichend. Die Unterbrechung der Verjährung dauere nach dieser Rechtsprechung fort, bis die Prüfung beendet und aufgrund der Prüfung Steuerbescheide erlassen würden, ohne zeitliche Begrenzung. Eine Verwirkung komme nur in Betracht, wenn zu dem Zeitmoment noch weitere Umstände hinzuträten, die den Steuerpflichtigen zu der Annahme veranlassen könnten, dass die Angelegenheit endgültig erledigt sei. Es würden nach Auffassung des Finanzgerichts jedoch Bedenken bestehen, ob die Grundsätze des Bundesfinanzhofs zur Annahme von Verwirkung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur überlangen Verfahrensdauer uneingeschränkt fort gelten könnten. In der Sache Nr. 17878/04 habe der Gerichtshof mit Urteil vom 11. Juni 2009 eine Verfahrensdauer von 10 Jahren für alle Instanzen als zu lang erachtet, auch unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles. Dass diese Rechtsprechung nicht ausschließlich für Gerichtsverfahren gelte, ergebe sich aus dem Urteil vom 17. Juni 2009 in der Sache 8453/04, mit dem der Gerichtshof für Menschenrechte in einem Disziplinarverfahren eine Verfahrensdauer von 9 Jahren und 8 Monaten als unangemessen lang erachtet habe. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze beständen erhebliche rechtsstaatliche Bedenken, ob unabhängig von der Dauer der Unterbrechung eine Verwirkung allein aufgrund Zeitablaufs niemals in Betracht kommen könne. Im Streitfall müsse berücksichtigt werden, dass die Dauer der Unterbrechung allein der Sphäre des Finanzamtes zuzuordnen sei. Ebenso wie die Gerichte ihren Bürgern keine überlange Verfahrensdauer zumuten dürften, dürfe auch eine Eingriffsverwaltung - wie die Steuerbehörden – den Bürger belastende Verfahren nicht unbegrenzt ausdehnen. Auch soweit der Bundesfinanzhof ausführe, dass Ausgang und Zeitpunkt der Beendigung des Strafverfahrens für die Ablaufhemmung ohne Belang seien, müsse hinterfragt werden, ob dies auch gelten könne, wenn – wie im Streitfall – aufgrund der langjährigen Prüfungsunterbrechung Strafverfolgungsverjährung eingetreten sei und deshalb der eigentliche Zweck der Einleitung des Strafverfahrens, nämlich die Strafverfolgung, nicht mehr erreicht werden könne.

Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wäre ohnehin zu gewähren gewesen

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Finanzgericht Rheinland-Pfalz wurde nicht zugelassen, denn der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung für 1992 wäre auch allein aufgrund dessen, dass die Einleitung des Strafverfahrens die später tatsächlich festgestellten Besteuerungsgrundlagen dieses Jahres nicht betroffen hätten, zu gewähren gewesen, so dass eine evtl. Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht allein entscheidungsrelevant sei.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 04.01.2011
Quelle: Finanzgericht Rheinland-Pfalz/ra-online

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