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Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Urteil vom 11.06.2008
- P.St. 2133, P.St. 2158 -
Hessen: Studiengebühr ist verfassungsgemäß
Allgemeine Studienbeiträge mit Hessischer Verfassung vereinbar
Der Hessische Staatsgerichtshof hat die Normenkontrollanträge von 45 Abgeordneten des 16. Hessischen Landtags, der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im 16. Hessischen Landtag und der Landesanwaltschaft (Verfahren P.St. 2133) sowie von Stimmberechtigten des Volkes (P.St. 2158) gegen das Gesetz zur Einführung von Studienbeiträgen an den Hochschulen des Landes vom 16. Oktober 2006 als unbegründet zurückgewiesen und entschieden, dass dieses Gesetz mit der Hessischen Verfassung vereinbar ist.
Die Mitglieder des Staatsgerichtshofs Prof. Dr. Lange, Falk, Giani, Dr. Klein und von Plottnitz haben ihre abweichende Meinung zu dem Urteil in einem Sondervotum niedergelegt. In verfassungsprozessualer Hinsicht hat der Staatsgerichtshof erstmals über die Antragsberechtigung der Fraktionen des Hessischen Landtags im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 4 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof entschieden und diese bestätigt. Die Fraktionen würden zwar in Art. 131 Abs. 2 der Hessischen Verfassung (kurz: HV) nicht als antragsberechtigt erwähnt. Die darin enthaltene Aufzählung sei jedoch nicht abschließend, so dass der Gesetzgeber den Kreis der Antragsberechtigten habe erweitern dürfen.
Im Mittelpunkt der Prüfung stand die Vereinbarkeit allgemeiner
„In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich. Unentgeltlich sind auch die Lernmittel mit Ausnahme der an den Hochschulen gebrauchten. Das Gesetz muss vorsehen, dass für begabte Kinder sozial Schwächergestellter Erziehungsbeihilfen zu leisten sind. Es kann anordnen, dass ein angemessenes
Art. 59 Abs. 1 Satz 1 HV sieht Unterrichtsgeldfreiheit vor
Der Staatsgerichtshof entschied, dass die durch das Hessische Studienbeitragsgesetz eingeführte allgemeine Studienbeitragspflicht mit Art. 59 Abs. 1 HV vereinbar ist. Art. 59 Abs. 1 Satz 1 HV sehe zwar generell die Unterrichtsgeldfreiheit vor, die auch die Unentgeltlichkeit des Hochschulzugangs umfasse. Satz 4 des Art. 59 Abs. 1 HV eröffne aber dem Gesetzgeber die Möglichkeit, ein angemessenes
Von dieser Ermächtigung habe der Gesetzgeber mit dem Hessischen Studienbeitragsgesetz in verfassungsgemäßer Weise Gebrauch gemacht.
Studenten können Studiendarlehen beantragen
Der Gesetzgeber sei berechtigterweise davon ausgegangen, dass alle Studierenden an hessischen Hochschulen im Rahmen ihres Erststudiums in der wirtschaftlichen Lage seien, das
Indem Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV die Anordnung eines Schulgeldes erlaube, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestatte, werde allein auf die Fähigkeit zur Zahlung des Schulgeldes abgestellt. Maßgeblich sei, dass dem Studierenden der Zugang zum
Auch wirtschaftlich Schwächergestellte sind ausreichend geschützt
Während des Studiums seien keine Tilgungsleistungen zu erbringen und keine Zinsen zu zahlen. Für wirtschaftlich Schwächergestellte, ausgewiesen durch die Feststellung ihres Anspruchs auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, träten keine Zinsbelastungen hinzu, da ihnen das Darlehen zinslos gewährt werde. Die Pflicht zur Rückzahlung von Darlehens- und Zinsschuld setze frühestens zwei Jahre nach Abschluss des Studiums, spätestens elf Jahre nach Aufnahme des Studiums, ein und sei abhängig von dem dann erzielten Einkommen. Solange nicht die Einkommensgrenzen nach § 18 a BAföG zuzüglich weiterer 300 Euro erreicht würden, bestehe ein Anspruch auf Stundung des Darlehens. Bei Eintritt der Tilgungs- und Zinszahlungspflicht sei die Mindestzahlung des Darlehensnehmers auf 50 Euro monatlich beschränkt. Die Rückzahlungspflicht sei unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 HStubeiG auf 15.000 Euro beschränkt und ende in jedem Fall 25 Jahre nach ihrem Beginn. Diese sozialen Abfederungen machten den Verweis auf das Darlehen auch für wirtschaftlich Schwächergestellte zumutbar. Dass nur BAföG-Berechtigte von der Zinszahlungspflicht befreit seien, sei sachgerecht und geeignet, der von Art. 59 Abs. 1 HV intendierten Bildungschancengleichheit Rechnung zu tragen.
Soweit die (erhöhte) Studienbeitragspflicht Absolventen eines Zweitstudiums oder Studierende nach Überschreiten der Regelstudienzeit trifft, hat der Staatsgerichtshof an seiner Rechtsprechung festgehalten, dass solche Studierende nicht dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 59 Abs.1 HV unterfallen. Denn Art. 59 Abs. 1 Satz 1 HV garantiere, vorbehaltlich seines Satzes 4, nur die Unentgeltlichkeit eines Erststudiums von angemessener Dauer.
Soweit sich die Antragsteller gegen weitere Regelungen des angegriffenen Gesetzes im Einzelnen gewandt haben, hat der Staatsgerichtshof diese Bedenken ebenfalls zurückgewiesen.
So konnte ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 1 HV, auch in seiner besonderen Ausprägung als Diskriminierungsverbot gegenüber Frauen, ebenso wenig festgestellt werden wie eine Verletzung sonstiger verfassungsrechtlicher Prinzipien, insbesondere des in der Hessischen Verfassung wie im Grundgesetz verankerten Rechtsstaatsprinzips.
Eine Prüfung der Vereinbarkeit des angegriffenen Gesetzes mit dem UN-Sozialpakt hat der Staatsgerichtshof abgelehnt, da völkerrechtliche Verträge des Bundes nicht Maßstab im Rahmen einer Normenkontrolle vor dem Staatsgerichtshof sein können.
Abweichende Meinung
Die Mitglieder des Staatsgerichtshofs Prof. Dr. Lange, Falk, Giani, Dr. Klein und von Plottnitz begründen ihre abweichende Meinung zusammenfassend insbesondere wie folgt:
Die durch das Hessische Studienbeitragsgesetz eingeführte allgemeine Studienbeitragspflicht ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einzelnen Studierenden sei das Gegenteil der in Art. 59 Abs. 1 HV gewährleisteten Unentgeltlichkeit des Hochschulunterrichts. Sie lasse sich auch nicht nach Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV dadurch rechtfertigen, dass alle Studierenden Anspruch auf ein rückzahlbares und grundsätzlich verzinsliches Studiendarlehen zur Finanzierung der
Damit, dass die Studiendarlehen verzinst werden müssten, sei den auf sie angewiesenen Studierenden überdies eine mit Art. 59 Abs. 1 HV und dem Gleichheitssatz des Art. 1 HV unvereinbare Belastung im Vergleich mit den Studierenden auferlegt, welche die
Verfassungswidrig sei es außerdem, dass das Studienbeitragsgesetz auch diejenigen Studierenden – und damit offenbar die Mehrheit der gegenwärtig in
Wenn der Gesetzgeber sich bei der nach Art. 59 Abs. 1 HV grundsätzlich möglichen Erhebung von Studienentgelten nicht in den von der Verfassung gezogenen Grenzen halten wolle, bedürfte es einer Verfassungsänderung. Eine solche Verfassungsänderung, die nach Art. 123 Abs. 2 HV voraussetze, dass der Landtag sie mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder beschließe und das Volk mit der Mehrheit der Abstimmenden zustimme, könne durch eine Auslegung der Verfassung, wie sie von der Mehrheit vorgenommen worden sei, nicht ersetzt werden. Das vollständige Urteil nebst Sondervotum kann von der Homepage des Staatsgerichtshofs unter www.staatsgerichtshof.hessen.de abgerufen werden.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 11.06.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des Staatsgerichtshof Hessen vom 11.06.2008
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Dokument-Nr. 6200
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