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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2012
1 StR 391/12 -

Steuerhinterziehung im Emissionszertifikatehandel mit etabliertem Umsatzsteuerhinterziehungssystem

BGH bestätigt Verurteilung der Angeklagten zu mehrjährigen Haftstrafen

Der Bundesgerichtshof hat die vom Landgericht Frankfurt am Main in mehreren Fällen verhängten Haftstrafen wegen Steuerhinterziehung im Emissionszertifikatehandel mit etabliertem Umsatzsteuerhinterziehungssystem bestätigt. Die Nachprüfung des Urteils durch den Bundesgerichtshof ergab keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat sechs Angeklagte (zwei Deutsche, drei Briten und einen Franzosen) wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu Haftstrafen zwischen vier und sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil haben vier der Angeklagten erfolglos Revision eingelegt; die Staatsanwaltschaft hat ihre Revisionen zurückgenommen. Damit ist das Urteil rechtskräftig.

Hintergrund

Gegenstand der Verurteilung ist ein international operierendes Umsatzsteuerhinterziehungssystem im Handel mit Emissionszertifikaten, bei dem Umsatzsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio. Euro hinterzogen wurden. Hierzu hat das Landgericht festgestellt, dass nach dem europäischen Emissionshandelssystem den Betreibern genehmigungspflichtiger Anlagen für definierte Handelsperioden bestimmte Mengen an Emissionsberechtigungen (so genannte Emissionszertifikate) zugeteilt werden. Dieses System basiert auf einer europäischen Richtlinie (Richtlinie 2003/87/EG vom 13. Oktober 2003), die in Deutschland am 15. Juli 2004 umgesetzt wurde. Die bei nationalen Registrierstellen (in Deutschland bei der Deutschen Emissionshandelsstelle) ausschließlich elektronisch geführten Emissionszertifikate berechtigen einen Anlagenbetreiber zur Emittierung von CO2 oder anderer Treibhausgase. Diese Zertifikate können auch verkauft werden.

Steuervergütung durch Handel mit Zertifikaten

Der Handel kann u.a. online über bei den nationalen Registrierstellen bestehende elektronische Emissionshandelskonten erfolgen. Hierdurch ist ohne großen Aufwand die sekundenschnelle (buchmäßige) Übertragung auch großer Zertifikatemengen im Wert von mehreren Millionen Euro möglich. Bis zur Einführung des - weniger betrugsanfälligen - so genannten Reverse-Charge-Verfahrens für Emissionszertifikate zum 1. Juli 2010 auch in Deutschland (andere Mitgliedstaaten der EU hatten dies bereits im Jahr 2009 eingeführt) konnte ein Unternehmer, der mit solchen Zertifikaten handelt, seine eigene Umsatzsteuerzahllast verringern oder sogar Steuervergütungen bewirken, indem er in den von ihm abzugebenden Umsatzsteueranmeldungen die in den Rechnungen der Verkäufer ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 15 UStG als Vorsteuer geltend machte.

Angeklagte etablierten bereits bekanntes Umsatzsteuerhinterziehungssystem

Die Betrugsanfälligkeit dieses (früheren) Systems haben sich die Angeklagten zu Nutze gemacht. Sie etablierten ein aus anderen Handelsbereichen bereits bekanntes Umsatzsteuerhinterziehungssystem: In einer hintereinander geschalteten Leistungskette von Verkäufern und Käufern wird das Emissionszertifikat aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat zunächst an einen ersten inländischen Erwerber (den so genannten "Missing Trader") verkauft. Dieser verkauft das Zertifikat mit einem geringen Aufschlag an einen Zwischenhändler (so genannter "Buffer") weiter. Es können auch mehrere Buffer zwischengeschaltet sein. Der (letzte) Buffer verkauft das Zertifikat - wiederum mit einem geringen Preisaufschlag - schließlich an den letzten inländischen Erwerber der Leistungskette, den so genannten "Distributor".

Distributor macht in Rechnung des "Buffers" ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend

Das Hinterziehungssystem der Angeklagten war für diese deshalb lukrativ, weil der "Missing Trader" keine Umsatzsteuer abführt und so dem Buffer einen Gewinn in Höhe seines Preisaufschlags ermöglicht. Es ging wie folgt vonstatten: Der "Missing Trader" stellt dem "Buffer" eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis. Die aus dem Weiterverkauf von ihm zu entrichtende Umsatzsteuer führt er allerdings plangemäß nicht ab. Seine tatsächlichen Umsätze verheimlicht er den Finanzbehörden; in der Regel verschwindet er nach kurzer Zeit vom Markt (deswegen die Bezeichnung "Missing Trader"). Der "Buffer" nutzt die in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesene Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug. Die in der Rechnung des Buffers ausgewiesene Umsatzsteuer macht dann der Distributor als Vorsteuer geltend.

Scheinrechnungen zur "Neutralisierung" der Steuerzahllast

Nach den Feststellungen des Landgerichts handelten die Angeklagten teils als "Missing Trader", teils als "Buffer". Die "Buffer" gaben zwar Umsatzsteueranmeldungen ab, "neutralisierten" aber ihre Steuerzahllast, indem sie Vorsteuern aus Scheinrechnungen (von Firmen mit denen tatsächlich eine Leistungsbeziehung nicht bestand) gegenrechneten. Die "Buffer" machten jeweils Vorsteuern aus den ihnen vom "Missing Trader" gestellten Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis geltend. Distributor war nach den Feststellungen des Landgerichts in den verfahrensgegenständlichen Fällen eine deutsche Großbank. Diese erwarb Emissionszertifikate von den Buffern in der Weise, dass ein Mitarbeiter dieser Bank jeweils mitteilte, welche Zertifikatmengen die Bank zu welchen Preisen ankaufen würde. Erst dann fragte dieser "Buffer" bei seinen Lieferanten nach. Der Ankauf erfolgte erst, nachdem der Weiterverkauf gesichert war. Zahlungen an seine Lieferanten leistete der Buffer - insofern völlig risikolos - erst, nachdem er seinerseits den Kaufpreis vereinnahmt hatte.

Angeklagte hatten keine Vorsteuerabzugsberechtigung gem. § 15 UStG

Das Landgericht hat hinsichtlich der für die jeweiligen Firmen abgegebenen Umsatzsteueranmeldungen den Tatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) bejaht. Es sah in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 StR 24/10) die aus Rechnungen der vermeintlichen "Lieferanten" geltend gemachte Vorsteuer in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio. Euro als hinterzogen an, weil eine Vorsteuerabzugsberechtigung nicht bestand: Soweit es sich nicht ohnehin um Scheinrechnungen nicht existierender Firmen handelte, war eine Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG deshalb nicht gegeben, weil es an einer unternehmerischen Tätigkeit von Rechnungssteller und -empfänger fehlte. Alle Angeklagten erkannten die Möglichkeit einer Einbindung in eine Hinterziehungskette, handelten aber wegen persönlicher Vorteile gleichwohl.

BGH verneint Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten

Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen der Angeklagten, mit denen die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, als unbegründet verworfen. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere steht es einer vollendeten Steuerhinterziehung nicht entgegen, dass Finanzbehörden - wie mit einem Beweisantrag behauptet wurde - zwar einen Tatverdacht hatten, gleichwohl aber aus ermittlungstaktischen Gründen (um den Erfolg der äußerst umfangreichen Ermittlungen zur Aufdeckung und Zerschlagung eines groß angelegten Umsatzsteuerhinterziehungssystems nicht zu gefährden) Steuervergütungen gemäß § 168 Satz 2 AO zugestimmt haben. Denn Straftäter haben keinen Anspruch darauf, dass die Finanz- oder die Ermittlungsbehörden so rechtzeitig gegen sie einschreiten, dass der Eintritt des Taterfolgs verhindert wird.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 14.01.2013
Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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