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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.12.2012
KVR 7/12 -

Scandlines Deutschland GmbH muss Konkurrenzunternehmen Zugang zu land- und seeseitigen Hafeneinrichtungen gewähren

Bundesgerichtshof zur Verweigerung des Zugangs zum Fährhafen Puttgarden gegenüber konkurrierenden Fährdienstunternehmen

Versagt ein Fährunternehmen einem konkurrierenden Unternehmen die Mitnutzung der land- und meerseitigen Hafeneinrichtung, kann dies einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Fährunternehmens darstellen und damit ein Verstoß gegen europäisches und deutsches Kartellrecht vorliegen. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs hervor.

Die Beschwerdeführerin des zugrunde liegenden Streitfalls (Scandlines Deutschland GmbH, im Folgenden: Scandlines) ist Eigentümerin des Fährhafens Puttgarden/Fehmarn. Sie bietet den einzigen Fährdienst von dort nach Rødby/Dänemark an (so genannte Vogelfluglinie). Die Beigeladenen, zwei norwegische Gesellschaften, beabsichtigen, ebenfalls einen Fährdienst auf dieser Route einzurichten und möchten hierzu den Fährhafen Puttgarden mitbenutzen. Scandlines weigert sich, den Zugang zu land- und seeseitigen Hafeneinrichtungen zu gewähren.

Bundeskartellamt rügt Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Scandlines

Das Bundeskartellamt hat in dieser Weigerung einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Scandlines gesehen, der gegen europäisches und deutsches Kartellrecht verstoße. Mit Beschluss vom 27. Januar 2010 hat es Scandlines verpflichtet, Verhandlungen mit den Beigeladenen aufzunehmen und einen Zugangsvorschlag zu unterbreiten.

OLG: Zugangsverweigerung gerechtfertigt

Die hiergegen erhobene Beschwerde von Scandlines hatte vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Erfolg. Das Oberlandesgericht hat angenommen, dass die Missbrauchstatbestände des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB* und des Art. 102 AEUV** nicht erfüllt seien, weil die Zugangsverweigerung gerechtfertigt sei. Die Mitbenutzung des Fährhafens Puttgarden durch die Beigeladenen sei aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil die von den Beigeladenen geplanten Park- und Vorstauflächen derzeit für den Eisenbahnverkehr gewidmet seien. Dass dieses Hindernis (durch eisenbahnrechtliche Entwidmung oder Planfeststellung) ausgeräumt werden könne, sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorherzusehen. Die Ungewissheit darüber, ob dieses Hindernis beseitigt werden kann, gehe nach Darlegungs- und Beweislastgrundsätzen zu Lasten des Bundeskartellamts und der Beigeladenen.

BGH weist Sache zurück an das OLG

Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts hob der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs die Beschwerdeentscheidung auf und wies die Sache an das Oberlandesgericht zurück.

Ungewissheit über Durchführbarkeit des Mitbenutzungsvorhabens geht zu Lasten des Inhabers der Infrastruktureinrichtung

Maßgeblich dafür waren die folgenden Erwägungen: Die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der Verweigerung einer Mitbenutzung wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit im Sinne von § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB erfordere stets eine Prognose. Daher sei nicht zwischen gegenwärtiger und künftiger rechtlicher Möglichkeit einer Mitbenutzung zu unterscheiden. In beiden Fällen gehe die Ungewissheit darüber, ob das Mitbenutzungsvorhaben durchführbar ist, nach der gesetzlichen Beweislastverteilung zu Lasten des Inhabers der Infrastruktureinrichtung. Gerade komplexe Vorhaben seien kaum ohne Einholung behördlicher Entscheidungen durchzuführen, deren Ausgang regelmäßig nicht vorauszusehen ist. Dies gelte insbesondere für die Mitbenutzung von Seehafenanlagen zum Zwecke der Ermöglichung von Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt des Fährverkehrs, die ein vom Gesetzgeber ausdrücklich in Betracht gezogener Anwendungsfall des Regelbeispiels nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB ist.

Dauerhafte Unmöglichkeit der Mitbenutzung kann nicht angenommen werden

Bei dem bislang vom Oberlandesgericht festgestellten Sachverhalt könne eine dauerhafte Unmöglichkeit der Mitbenutzung und somit eine sachliche Rechtfertigung der Zugangsverweigerung nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB nicht angenommen werden. Die vom Oberlandesgericht angeführte ernsthafte, nicht bloß vage Möglichkeit, dass die derzeit ungenutzten Teile der Eisenbahninfrastruktur im Zuge der Baumaßnahmen zur Errichtung der festen Fehmarnbeltquerung benötigt werden würden und daher die beabsichtigte Mitbenutzung des Hafens an den notwendigen behördlichen Entscheidungen scheitern könne, genüge dafür nicht, entschied der Bundesgerichtshof.

Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung kann nicht ausgeschlossen werden

Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV könne daher mit der vom Oberlandesgericht gegebenen Begründung ebenso wenig ausgeschlossen werden.

Erläuterungen

* - § 19 GWBMissbrauch einer marktbeherrschenden Stellung [Auszug]

(1) Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten.

[...]

(4) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen

[...]

4. sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, wenn es dem anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die Mitbenutzung nicht möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten Markt als Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens tätig zu werden; dies gilt nicht, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nachweist, dass die Mitbenutzung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

** - Art. 102 AEUV

Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

[...]

 

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 12.12.2012
Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

Vorinstanz:
  • Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 07.12.2011
    [Aktenzeichen: VI-Kart 1/10 (V)]
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