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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.12.2006
- 2 BvR 958/06 -
Adhäsionskläger steht Recht auf Richterablehnung zu
Verfahren soll in der Rechtswirklichkeit eine größere Bedeutung bekommen
Das Adhäsionsverfahren ermöglicht es dem Opfer einer Straftat, Entschädigungsansprüche wie etwa den Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld schon im Strafverfahren (und nicht erst in einem eigenständigen Verfahren vor den Zivilgerichten) gegen den Angeklagten geltend zu machen.
Der Beschwerdeführer ist Antragsteller in einem Adhäsionsverfahren, in dem er Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von 38.347 Euro als Ausgleich für einen durch angeblich betrügerische Handlungen des Angeklagten verursachten Schaden verlangt. In diesem Verfahren lehnte er die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Amtsgericht verwarf das Ablehnungsgesuch als unzulässig, weil das Gesetz ein Ablehnungsrecht des Adhäsionsklägers nicht vorsehe. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde vom Landgericht verworfen. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hatte Erfolg. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die angegriffenen Entscheidungen auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Das Adhäsionsverfahren eröffnet dem Geschädigten einer Straftat die Möglichkeit, im Strafverfahren finanzielle Kompensation für erlittene Schäden zu erlangen. Untersuchungen zeigen, dass für Opfer von Straftaten das Wiedergutmachungsbedürfnis, gerade auch in seiner finanziellen Dimension, generell eine sehr große Rolle spielt. Im Einzelfall – wenn z.B. aufwändige Fahndungsmaßnahmen und Zwangsmittel erforderlich sind, um den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen – kann die Anhaftung der Entschädigungsmöglichkeit an das Strafverfahren für den Geschädigten die einzige Möglichkeit darstellen, Kompensation zu erlangen. Der Gesetzgeber hat vor diesem Hintergrund die Rechte des Adhäsionsklägers mehrfach gestärkt in dem Bestreben, dem Adhäsionsverfahren in der Rechtswirklichkeit eine größere Bedeutung zu verschaffen. Mit den Änderungen durch das Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 beabsichtigte der Gesetzgeber, die Durchführung des Adhäsionsverfahrens zum Regelfall der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche des Opfers zu machen.
Vor diesem Hintergrund ist der Antragsteller im Adhäsionsverfahren als Rechtsuchender im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anzusehen, dem die Ablehnung des gesetzlichen Richters offen steht, wenn dieser nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet. Da das Adhäsionsverfahren seit seiner Stärkung durch das Opferrechtsreformgesetz den gesetzlichen Regelfall der Durchsetzung von Opferansprüchen darstellt, ist der Antragsteller in erheblichem Maße beschwert, wenn das Verfahren, veranlasst durch ein parteiliches Verhalten des gesetzlichen Richters, scheitert und der Antragsteller sich auf ein neues – zeit- und kostenintensives – Verfahren vor den Zivilgerichten verwiesen sieht. Zwar hat der Gesetzgeber in der Strafprozessordnung ein Recht des Adhäsionsklägers zur Ablehnung des Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit nicht ausdrücklich normiert. Die gesetzliche Ausgestaltung des Adhäsionsverfahrens kann aber in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung eines Ablehnungsrechts des Adhäsionsklägers genügenden Weise dahingehend ausgelegt werden, dass auch dem Adhäsionskläger ein Ablehnungsrecht zusteht.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 26.01.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 06/07 des BVerfG vom 24.01.2007
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Dokument-Nr. 3699
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