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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 03.07.2012
- 2 PBvU 1/11 -
Streitkräfteeinsatz im Inneren in äußersten Ausnahmefällen zur Abwehr von Gefahren zulässig
Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren („Luftsicherheitsgesetz“)
Der Bundeswehr ist es gestattet, in äußersten Ausnahmefällen bei Einsätzen der Streitkräfte im Innern zur Abwehr von Gefahren spezifische militärische Waffen einzusetzen. Dies geht aus einer Entscheidung des Plenums des Bundesverfassungsgerichts hervor.
Das Plenarverfahren des zugrunde liegenden Falls hat seinen Ursprung in dem von der Bayerischen und der Hessischen Staatsregierung anhängig gemachten Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, in dem der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts darüber zu entscheiden hat, ob § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Vorschriften regeln die Voraussetzungen und Modalitäten, unter denen die
Zweiter Senat will von Entscheidung des Ersten Senats zur Nichtigkeit der Abschussermächtigung im Luftsicherheitsgesetz abweichen
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte in dem Normenkontrollverfahren das Plenum angerufen, da er beabsichtigte, von Rechtsauffassungen abzuweichen, die dem Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 zum Luftsicherheitsgesetz zugrunde liegen. Mit diesem Urteil hatte der Erste Senat die Bestimmung des § 14 Abs. 3 LuftSiG, der die
Diese drei Rechtsauffassungen hat der Zweite Senat mit Beschluss vom 3. Mai 2011 zum Gegenstand der Vorlage an das Plenum gemacht.
Verwendung spezifisch militärischer Waffen unter engen Voraussetzungen zulässig
Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts hat über die Vorlagefragen wie folgt entschieden:
- Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG ergibt sich nicht aus Art. 35 Abs. 2 und 3 GG, sondern aus Art. 73 Nr. 6 GG a. F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. - Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG schließen die Verwendung spezifisch militärischer
Dem Plenarbeschluss liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Gesetzgebungskompetenz des Bundes
Die Bestimmungen der Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bieten für Bundesrecht, das den Einsatz der
Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für die §§ 13 ff. LuftSiG folgt als Annexkompetenz aus Art. 73 Nr. 6 GG a. F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Soweit der Bund für ein bestimmtes Sachgebiet die Gesetzgebungszuständigkeit hat, steht ihm als Annexkompetenz auch die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich zu. Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasst als Annex jedenfalls die Befugnis, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren. Die Bestimmungen der §§ 13 ff. LuftSiG enthalten ein eigenständiges Gefahrenabwehrrecht des Bundes. Sie regeln nicht nur die Mittelbereitstellung für den Fall der Unterstützung von Gefahrenabwehrmaßnahmen der Länder, sondern enthalten zugleich unmittelbar außenwirksame Ermächtigungen zum Streitkräfteeinsatz.
Verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Streitkräfteeinsatzes mit spezifisch militärischen Waffen
Außer zur Verteidigung dürfen nach Art. 87a Abs. 2 GG die
Beschränkung einsetzbarer Kampfmittel voraussichtlich nicht beabsichtigt
Auch eine Gesamtbetrachtung der Gesetzesmaterialien zwingt nicht zu der Annahme, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eine Beschränkung der einsetzbaren Mittel beabsichtigt hat. Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird weder ein eindeutiger Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers hinsichtlich der in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einsetzbaren Mittel noch eine klare Konzeption in der Frage des anwendbaren Rechts erkennbar. Zwar stand dem verfassungsändernden Gesetzgeber als typischer Anwendungsfall der Verfassungsbestimmungen zum Katastrophennotstand nicht die Abwehr von Gefahren durch ein als Angriffsmittel genutztes Luftfahrzeug, sondern vor allem die Erfahrung der norddeutschen Flutkatastrophe des Jahres 1962 vor Augen. Dies schließt es jedoch nicht aus, Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch auf andersartige von Wortlaut und Systematik der Vorschrift erfasste Gefahrenfälle anzuwenden, und zwingt nicht zu einer angesichts heutiger Bedrohungslagen nicht mehr zweckgerechten Auslegung dieser Bestimmungen.
Einsatz militärischer Kampfmittel nur unter engen Voraussetzungen zulässig
Der Einsatz der
Einsatz von Streitkräfte nur bei bestehender Gefahr für freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder des Landes
Enge Grenzen sind dem Streitkräfteeinsatz im Katastrophennotstand nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG durch das Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt. Hiervon erfasst werden nur ungewöhnliche Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes. Insbesondere stellt nicht eine Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar. Die Voraussetzungen des besonders schweren Unglücksfalls gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bestimmen sich in Abgrenzung zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der
Einsatz von Streitkräften nur als ultima ratio zulässig
Schließlich muss der Unglücksfall bereits vorliegen. Dies setzt zwar nicht notwendigerweise einen bereits eingetretenen Schaden voraus. Der Unglücksverlauf muss aber bereits begonnen haben und der Eintritt eines katastrophalen Schadens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen. Der Einsatz der
Anordnungskompetenz der Bundesregierung
Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ermächtigt allein die Bundesregierung als Kollegialorgan, im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes Einheiten der
Sondervotum des Richters Gaier:
Das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung schließt den Kampfeinsatz der
Streitkräfte dürfen niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden
Auch und gerade seitdem nach der Notstandsgesetzgebung anders als vor 1968 der Einsatz des Militärs im Inneren nicht mehr schlechthin unzulässig ist, bleibt strenge Restriktion geboten. Es ist sicherzustellen, dass die
Strikte Trennung zwischen Regelungen des Katastrophennotstandes und des inneren Notstandes darf durch Zulassung spezifisch militärischer Bewaffnung nicht vermengt werden
Dass ein Einsatz der
Richter bemängelt zu viel Spielraum für subjektive Einschätzungen
Der Plenarbeschluss kann mit den von ihm entwickelten Kriterien eine Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des Katastrophennotstandes nicht verhindern. Der Versuch der weiteren Eingrenzung des bewaffneten Streitkräfteeinsatzes durch das Erfordernis eines „unmittelbar bevorstehenden“ Schadenseintritts „von katastrophischen Dimensionen“ wird der nötigen Klarheit und Berechenbarkeit nicht gerecht. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis - etwa bei regierungskritischen Großdemonstrationen - viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Das ist jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter
Verfassungsänderung unvermeidlich
Im Übrigen bietet der durch den Plenarbeschluss nun erweiterte Einsatz bewaffneter
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 17.08.2012
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
- Abschussermächtigung im Luftsicherheitsgesetz nichtig
(Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 15.02.2006
[Aktenzeichen: 1 BvR 357/05]) - Luftsicherheitsgesetz wird dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt
(Verwaltungsgericht Darmstadt, Beschluss vom 27.06.2007
[Aktenzeichen: 5 E 1854/06 (3), 5 E 1495/06 (1)])
Jahrgang: 2013, Seite: 283 JuS 2013, 283 | Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ)
Jahrgang: 2012, Seite: 1239 NVwZ 2012, 1239
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Dokument-Nr. 13985
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