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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.04.1999
BVerwG 6 C 18.98 -

BVerwG: Erfolgreicher Widerspruch gegen Kruzifix in bayerischen Klassenräumen

Gegen die gesetzliche Neuregelung zur Anbringung von Kreuzen in den bayerischen Volksschulen bestehen bei verfassungskonformer Auslegung keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Allerdings hat das Gericht auf die Klage von Eltern und in Anwendung dieser Regelung einen Schulleiter dazu verpflichtet, im Einzelfall ihrer Tochter das Kreuz aus dem Klassenraum zu entfernen.

Das neue Gesetz schreibt für die Volksschulen Bayerns vor, daß in jedem Klassenraum ein Kreuz anzubringen ist. Wird der Anbringung des Kreuzes "aus ernsthaften und einsehbaren Gründen des Glaubens oder der Weltanschauung" seitens der Erziehungsberechtigten widersprochen, so löst dies nach dem Gesetz ein Einigungsverfahren aus. Gelingt eine Einigung nicht, so hat der Schulleiter für den Einzelfall eine Regelung zu treffen, welche die Glaubensfreiheit des Widersprechenden achtet und die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen aller in der Klasse Betroffenen zu einem gerechten Ausgleich bringt; dabei "ist auch der Wille der Mehrheit soweit möglich zu berücksichtigen". Der Schulleiter hatte im vorliegenden Fall entschieden, daß in allen Klassen der Schule ein Kreuz hängen solle, wobei Art, Größe und Plazierung seiner Würde als christliches Symbol angemessen sein sollte, ohne für Nichtchristen provozierend zu wirken.

Die Vorinstanzen hatten die Klage der Eltern auf Entfernung des Kreuzes abgewiesen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hielt - wie zuvor schon der Bayerische Verfassungsgerichtshof - die Widerspruchsregelung für verfassungsgemäß. Er verneinte, daß die klagenden Eltern ernsthafte und einsehbare Gründe des Glaubens oder der Weltanschauung geltend gemacht hätten. In ihrer schriftlichen Begründung hätten sie sich äußerst polemisch geäußert und sich dabei auf trivialer geschichtskritischer und gesellschaftspolitischer Ebene bewegt. Auch soweit sich die Eltern lediglich darauf berufen hätten, nichts zu glauben, reiche dies nicht aus.

Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ist im Ergebnis der Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zur Verfassungsmäßigkeit der Widerspruchsregelung gefolgt. Er hat zwar erwogen, ob nicht das Gesetz zu sehr die nachträgliche Konfliktregelung betont und Möglichkeiten der vorbeugenden Konfliktvermeidung vernachlässigt und so die Widersprechenden einseitig und gegen das Neutralitätsgebot in die Defensive drängt. Er hat jedoch anerkannt, daß dem Gesetzgeber hinsichtlich der geeigneten Maßnahmen zur Konfliktlösung ein Prognose- und Gestaltungsspielraum zusteht und zudem die gesetzliche Regelung einer mehr auf Konfliktvermeidung abzielenden Verwaltungspraxis nicht im Wege steht. Dem vom Bundesverfassungsgericht betonten Grundsatz der Freiwilligkeit wird mit der Widerspruchsregelung noch hinreichend Rechnung getragen. Werden die Anforderungen an die Begründung des Widerspruchs nicht überzogen, so ergibt sich für Andersdenkende eine zumutbare und nichtdiskriminierende Ausweichmöglichkeit. Dabei muß berücksichtigt werden, daß Art. 4 Abs. 1 GG auch die Freiheit schützt, nichts zu glauben. Auch geht es nicht um die Wertung der Begründung von objektiver Warte aus. Die Forderung nach "einsehbaren" Gründen darf nur so verstanden werden, daß sich Schulleiter und Gerichte in den Standpunkt der Widersprechenden hineinzuversetzen haben, um von daher einen Zusammenhang mit dem Widerspruch gegen das Kreuz zu erkennen. Daher können auch trivial erscheinende Begründungen anzuerkennen sein, müssen polemische Äußerungen ihres polemischen Äußeren entkleidet und auf ihren eigentlichen Sinngehalt zurückgeführt werden. Wird - wie hier - deutlich, daß die Eltern Atheisten sind oder aus antireligiösen Auffassungen heraus nicht wünschen, daß ihr Kind in der Erziehung religiösen Einflüssen ausgesetzt werde, muß dies ausreichen. Die Widerpruchsbegründung wird ausschließlich zur Kenntnis des Schulleiters gegeben und ist - ebenso wie die Namen der Widersprechenden - von diesem geheim zu halten.

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der Leitsatz

Die Regelung des Art. 7 Abs. 3 BayEUG, wonach in allen Klassenräumen der Volksschulen ein Kreuz anzubringen ist, dem jedoch aus ernsthaften und einsehbaren Gründen des Glaubens oder der Weltanschauung widersprochen werden kann, verstößt nicht gegen Bundesverfassungsrecht, insbesondere nicht gegen das Neutralitätsgebot und die negative Glaubensfreiheit.

Die Widerspruchsregelung ist bundesverfassungskonform dahin auszulegen, daß sich die Widersprechenden dann, wenn sie sich auf derartige ernsthafte und einsehbare Gründe stützen, eine Einigung nicht zustande kommt und andere zumutbare, nicht diskriminierende Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen, letztlich durchsetzen müssen (vgl. auch BayVerfGH, BayVBl 1997, 686).

Für die Annahme ernsthafter und einsehbarer Gründe des Glaubens oder der Weltanschauung reicht es aus, wenn aus den Darlegungen der Eltern deutlich wird, daß sie Atheisten sind und/oder aus antireligiösen Auffassungen heraus es als unzumutbar ansehen, daß ihr Kind in der Erziehung religiösen Einflüssen ausgesetzt werde. Weltanschauliche Indifferenz kann dagegen einen Widerspruch nicht tragen. Ein freies Vetorecht besteht nicht.

Die Widerspruchsregelung ist verfassungskonform dahin zu handhaben, daß vorhersehbare Konflikte wegen der Anbringung des Kreuzes möglichst von vornherein vermieden und notfalls schon bei der Klasseneinteilung berücksichtigt werden. Der Schulleiter hat während des gesamten Verfahrens die gebotene Diskretion zu wahren.

© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 22.04.2005
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 21/1999 des BVerwG vom 21.04.1999

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