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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.12.2020
BVerwG 5 C 9.19 -

Kostenbeitrag für Jugendhilfeleistung aus Einkommen in Behindertenwerkstatt? Jugendhilfeträger kann von Kostenbeitrag behinderter Menschen absehen

Bundesverwaltungsgericht zu den Grenzen der Erhebung eines jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags bei Tätigkeit in Behindertenwerkstatt

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass von der Erhebung eines Kostenbeitrags, der von Menschen, die eine Jugendhilfeleistung in Anspruch nehmen, gefordert werden kann, abgesehen werden kann, wenn das Einkommen aus der Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt stammt.

Maßgeblich für die Berechnung des Kostenbeitrags, den junge Menschen bei vollstationären Leistungen der Jugendhilfe zu erbringen haben, ist das durchschnittliche Monatseinkommen des Vorjahres. Stammt das Einkommen aus einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung dient, hat der Jugendhilfeträger nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er von der Erhebung eines Kostenbeitrags ganz oder teilweise absieht. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.

Klägerin sollte 75 Prozent ihres Einkommens in Werkstatt für behinderte Menschen als Kostenbeitrag für Wohnheimunterbringung bezahlen

Die 1993 geborene Klägerin ist mit einem höheren Grad als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Ab Dezember 2014 arbeitete sie in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Hierfür erhielt sie ein monatliches Nettoentgelt von durchschnittlich 88 €. Für die ihr gleichzeitig gewährte Hilfe für junge Volljährige in Form der vollstationären Unterbringung in einem Wohnheim zog der beklagte Landkreis sie für den Zeitraum von Januar 2015 bis Juli 2016 zu einem monatlichen Kostenbeitrag i.H.v. 75 Prozent ihres Einkommens heran. Diesen Beitrag setzte er im Widerspruchsbescheid auf durchschnittlich 67 € im Monat fest und verlangte von der Klägerin eine Nachzahlung i.H.v. 1 373,95 €. Die dagegen von der Klägerin erhobene Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg.

Kostenbeitrags berechnet sich nach durchschnittlichem Monatseinkommen des Vorjahres

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Der streitige Kostenbeitragsbescheid ist rechtswidrig, weil der Beklagte bei der Berechnung des Einkommens der Klägerin die gesetzliche Regelung nicht angewendet hat, wonach das durchschnittliche Monatseinkommen maßgeblich ist, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung vorangeht (§ 93 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - SGB VIII -). Diese Bestimmung ist entgegen der Ansicht des Beklagten auch anzuwenden, wenn junge Menschen für vollstationäre Leistungen der Jugendhilfe zu Kostenbeiträgen i.H.v. 75 Prozent ihres Einkommens (§ 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII) herangezogen werden. Der Umstand, dass das Abstellen auf den Vorjahreszeitraum teilweise als rechtspolitisch verfehlt angesehen wird und in der Gesetzgebung seit längerem Änderungen geplant sind, ist für die Auslegung des geltenden Rechts nicht erheblich.

Kostenbeitrag kann erlassen werden, wenn Einkommen aus Tätigkeit zum Zweck der Jugendhilfe stammt

Der Beklagte hat außerdem zu Unrecht von dem ihm gesetzlich (§ 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII) eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Danach kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung dient. Diese Voraussetzung für die Ermessensausübung war hier erfüllt. Zweck der Hilfe für junge Volljährige ist in erster Linie die Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung und die Förderung einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung. Diesem Zweck diente auch die Tätigkeit der Klägerin in einer Werkstatt für behinderte Menschen.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 14.12.2020
Quelle: Pressemitteilung, ra-online (pm/we)

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