Im zugrunde liegenden Fall hatten sich die Kläger - beide Lehrer an Kasseler Schulen - im November 2009 an einem von der GEW organisierten Streik beteiligt und waren aus diesem Grunde für drei Stunden dem Dienst ferngeblieben. Die GEW hatte zu dem Streik aufgerufen, um u.a. gleiche Arbeitszeiten für Angestellte und Beamte im öffentlichen Dienst zu erreichen. Für Beamte hatte das Land Hessen die Arbeitszeit zum 1. Januar 2004 von 38,5 Stunden auf 42 Stunden heraufgesetzt; für Angestellte im öffentlichen Dienst des Landes Hessen war dagegen Ende März 2009 durch einen Tarifvertrag die Arbeitszeit auf 40 Stunden festgeschrieben worden.
Wegen ihrer Teilnahme an diesem Streik wurden die Lehrer jeweils vom zuständigen Schulleiter mit einer schriftlichen Missbilligung belegt, weil sie gegen ihre Dienstpflichten verstoßen hätten. Dagegen setzten sie sich zur Wehr und vertraten die Auffassung, nach Art. 11 der Europäischen Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) stehe ihnen das Streikrecht zu; eine Dienstpflichtverletzung liege daher nicht vor.
Das Staatliche Schulamt war demgegenüber der Ansicht, das Streikverbot für Beamte gehöre zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gem. Art. 33 Abs. 5 GG. Darüber hinaus sei der Streik im November 2009 auch rechtswidrig gewesen, weil er allgemeine Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zum Gegenstand gehabt habe, über die zuvor keine Verhandlungen aufgenommen worden seien. Der Streik habe daher gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot verstoßen.
Das Verwaltungsgericht Kassel folgte der Auffassung der Lehrer. Entgegen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entschied das Gericht, dass das Streikrecht auch Beamten zustehen könne, soweit sie nicht hoheitlich, d.h. im Bereich der Eingriffsverwaltung, der Polizei und der Landesverteidigung tätig seien. Die Kammer folgte insoweit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bereits in zwei Entscheidungen zu Art. 11 EMRK (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) in den Jahren 2008 und 2009 festgestellt hatte, dass das Streikrecht für öffentliche Bedienstete zwar eingeschränkt werden könne, jedoch nur unter engen Voraussetzungen; denn es dürfe nur bestimmte Gruppen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes betreffen, nicht aber den öffentlichen Dienst insgesamt. Da es sich bei der EMRK um alle deutschen Stellen bindendes Recht handele, muss das Grundgesetz nach Auffassung des Gerichts unter Berücksichtigung der EMRK ausgelegt werden, wobei der letztverantwortlichen Auslegung durch den EGMR besondere Bedeutung zukomme. Davon ausgehend seien die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums i. S. d. Art. 33 Abs. 5 GG durch die Übernahme der EMRK in bundesdeutsches Recht dahingehend fortentwickelt worden, dass das ursprünglich für alle Beamten geltende Streikverbot im Hinblick auf Art. 11 EMRK allenfalls noch für bestimmte, abgrenzbare Gruppen von Beamtinnen und Beamten Gültigkeit beanspruchen könne, nämlich nur für diejenigen, die den in Art. 11 Abs. 2 EMRK genannten Gruppen von Beamten angehören, d.h. Mitglieder der Streitkräfte, Polizei oder Staatsverwaltung. Die Auffassung, die Bundesrepublik Deutschland habe durch die Differenzierung zwischen Beamten und Angestellten hinsichtlich des Streikrechts der Rechtsprechung des EGMR Rechnung getragen, wies die Kammer zurück. Eine Abgrenzung zwischen Beamten und Angestellten an Hand der von ihnen ausgeübten Tätigkeit sei oftmals gerade nicht möglich. Denn in Behörden werden Arbeitsplätze vielfach parallel für Beamte und Angestellte ausgeschrieben und Beamte und Angestellte verrichten häufig dieselbe Arbeit. Davon ausgehend unterfielen die Kläger nicht den in Art. 11 EMRK abschließend aufgeführten öffentlichen Bediensteten, denen ein Streikverbot auferlegt werden könne. Das Gericht teilte die Auffassung des Staatlichen Schulamtes nicht, da Lehrer z.B. durch Versetzungsentscheidungen, die Erteilung von Abschlusszeugnissen etc. durchaus hoheitliche Aufgaben wahrnähmen, unterfielen sie ebenfalls der Beamtengruppe, der europarechtlich in zulässiger Weise ein Streikverbot auferlegt werden könne. Die Kammer stellte klar, dass andernfalls die weit verbreitete Praxis, Lehrkräfte auch im Angestelltenverhältnis zu beschäftigen, als unzulässig angesehen werden müsse. Ausschlaggebend für die Frage, ob eine Lehrkraft als Beamter oder Angestellter des öffentlichen Dienstes eingestellt werde, seien in der Praxis vielfach ganz andere Gründe, etwa die Ersparnis von Sozialversicherungsbeiträgen bei Beamten. Ob das Streikrecht auch Beamten in Schulleitungsfunktionen zustehe, ließ das Gericht allerdings ausdrücklich offen.
Darüber hinaus sei auch die Teilnahme der Lehrer an dem konkreten Streik im November 2009 nicht zu beanstanden, da der Streik als solcher rechtmäßig gewesen sei. Er habe sich aus der Sicht der beamteten Lehrer zwar nicht auf ein tariflich regelbares Ziel gerichtet, weil die Arbeitsbedingungen der Beamten durch Gesetze und Rechtsverordnungen und nicht in Tarifverträgen geregelt werden. Insoweit genüge es jedoch, wenn das Streikziel der Beamten - wie hier - in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren eigenen Arbeitsbedingungen stehe. Eine Friedenspflicht gelte für Beamte nicht, da ihre Arbeitsbedingungen gerade nicht zeitlich beschränkt in Tarifverträgen geregelt seien und auch nicht jeweils neu ausgehandelt werden müssten. Darüber hinaus sei der Streik durch eine Gewerkschaft organisiert worden und angesichts der zahlreichen, zuvor erfolglos geführten Verhandlungen auch nicht unverhältnismäßig gewesen.
Da somit ein Streikrecht für solche Beamtinnen und Beamte im Rahmen des Art. 33 Abs. 5 GG i. V. m. Art. 11 EMRK anzuerkennen sei, die nicht hoheitlich tätig seien, und der konkrete Streik hier rechtmäßig gewesen sei, könne den Klägern nicht der Vorwurf gemacht werden, durch ihre Teilnahme an diesem Streik ihre Dienstpflichten verletzt zu haben.