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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 03.11.2021
- 1 BvL 1/19 -
Zeitlich unbegrenzte Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach Eintritt der Vorteilslage mit dem Grundgesetz unvereinbar
KAG-Regelung verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Kommunalabgabengesetzes Rheinland-Pfalz (KAG RP) mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) insoweit unvereinbar ist, als danach Erschließungsbeiträge nach dem Eintritt der Vorteilslage zeitlich unbegrenzt erhoben werden können. Die Beitragspflichten verjähren in Rheinland-Pfalz zwar vier Jahre nach Entstehung des Abgabeanspruchs. Der Beginn der Festsetzungsfrist knüpft damit allerdings nicht an den Eintritt der Vorteilslage an, weil die Entstehung des Abgabeanspruchs von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt. So bedarf es unter anderem einer öffentlichen Widmung der Erschließungsanlage, die erst nach tatsächlicher Fertigstellung der Anlage erfolgen kann. Die tatsächliche Vorteilslage und die Beitragserhebung können somit zeitlich weit auseinanderfallen. Dies verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Der Landesgesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.
Im hier vorliegenden Fall wendet sich ein Eigentümer mehrerer Grundstücke in Rheinland-Pfalz gegen die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung einer Straße. In den Jahren 1985/1986 wurde die an die Grundstücke des Klägers angrenzende Straße vierspurig mit einer Länge von knapp 200 Metern gebaut. 1991 zog die Stadt den Kläger zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag heran. Die zunächst vorgesehene vierspurige Fortführung der Straße wurde 1999 endgültig aufgegeben. Die Straße wurde stattdessen in den Jahren 2003/2004 zweispurig weitergebaut und in ihrer vollen Länge 2007 als Gemeindestraße gewidmet. Die Stadt setzte daraufhin für die hier maßgeblichen Flurstücke
BVerwG bittet BVerfG um Klärung
Auf die Revision des Klägers setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG RP in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1 AO mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbar sei, soweit er die Erhebung von Erschließungsbeiträgen zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der
BVerfG: Verstoß gegen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit
§ 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG RP ist insoweit mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar, soweit danach die Möglichkeit besteht, dass nach dem Eintritt der tatsächlichen
Begriff der Vorteilslage muss somit an tatsächliche Gegebenheiten anknüpfen
Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt, dass Betroffene nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen. Der Zeitpunkt, in dem der abzugeltende Vorteil entsteht, muss daher für die Betroffenen unter Zugrundelegung eines objektiven Empfängerhorizonts auch erkennbar sein. Der Begriff der
Fachgerichtliche Anforderungen für Vorteilslage nicht zu beanstanden
Nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung kommt es im Erschließungsbeitragsrecht für die abzugeltende
Verjährungsbeginn wird ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschoben
§ 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG RP gestattet in Fällen, in denen die mit Erschließungsbeiträgen abzugeltende tatsächliche
Auch keine Ausschlussfrist in sonstigen Regelungen
Auch aus sonstigen Regelungen ergeben sich keine zeitlichen Grenzen der Erhebung von Erschließungsbeiträgen, die allein an den Zeitpunkt der Erlangung des tatsächlichen Vorteils anknüpfen. Eine absolute
Dreißigjährige Ausschlussfrist genügt verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht
Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Ob dabei die in jedem Fall notwendige zeitliche Obergrenze adäquat bemessen ist, stellt eine primär dem Gesetzgeber überantwortete Frage dar. Jedenfalls genügte eine dreißigjährige
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 26.11.2021
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)
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Dokument-Nr. 31098
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