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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.06.2020
- 2 BvE 2/19 -
Polizeiliches Betreten von Abgeordnetenbüros stellt Verstoß gegen das Grundgesetz dar
Handeln der Polizei beim Deutschen Bundestag stellt Eingriff in verfassungsrechtlichen geschützten Abgeordnetenstatus dar
Mit Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Präsident des Deutschen Bundestages einen Abgeordneten in seinem Recht aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes dadurch verletzt hat, dass die Polizei beim Deutschen Bundestag seine Abgeordnetenräume betreten hat. Zur Begründung der Entscheidung hat der Senat ausgeführt, dass das Handeln der Polizei beim Deutschen Bundestag einen Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten Abgeordnetenstatus darstellt. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt, weil das Vorgehen jedenfalls nicht verhältnismäßig im engeren Sinne war. Im konkreten Fall waren die Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage nur schwach ausgeprägt. Zudem war nicht ersichtlich, dass die Plakatierungen überhaupt von Passanten wahrgenommen worden oder zum Anlass von Angriffen auf das Parlamentsgebäude oder die Mitarbeiter genommen worden wären.
Im hier zugrunde liegenden Fall hatten die Beamten anlässlich eines Staatsbesuchs des türkischen Staatspräsidenten dort angebrachte Plakatierungen mit Zeichen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG entfernt.
Beamte betraten unerlaubt Abgeordnetenräume und entfernten Plakate der YPG
Der Antragsteller als Mitglied der Fraktion DIE LINKE dem Deutschen
Maßnahme der Beamten stellt Eingriff in den Abgeordnetenstatus dar
Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages steht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG das Recht zu, die ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten ohne Beeinträchtigungen durch Dritte nutzen zu können. Die effektive Wahrnehmung des Mandats setzt in materieller Hinsicht voraus, dass die Abgeordneten eine gewisse Infrastruktur nutzen können, ohne eine unberechtigte Wahrnehmung ihrer Arbeit durch Dritte befürchten zu müssen. Andernfalls bestünde von vornherein die latente Gefahr, dass Arbeitsentwürfe und Kommunikationsmaterial im Zuge entsprechender Maßnahmen wahrgenommen werden und nach außen dringen. Die Freiheit des Mandats erfordert es jedoch, dass der Abgeordnete über Art, Zeitpunkt und Umfang der Veröffentlichung seiner Arbeitsinhalte selbst entscheidet. Ein Eingriff in den durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Abgeordnetenstatus ist zulässig, wenn und soweit andere Rechtsgüter von Verfassungsrang ihn rechtfertigen. Die Repräsentations- und die Funktionsfähigkeit des Parlaments sind als solche Rechtsgüter von Verfassungsrang anerkannt. Die streitgegenständliche Maßnahme genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Eingriff in das freie Mandat des Antragstellers nicht.
streitgegenständliche Maßnahme genügt nicht allgemeinen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit
Dabei kann offenbleiben, ob Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG selbst eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für ein polizeiliches Handeln des Antragsgegners darstellt oder ob es insoweit eines formellen Gesetzes bedurft hätte. Jedenfalls genügt die streitgegenständliche Maßnahme nicht den Anforderungen von Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG. Selbst dann, wenn Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG als eine taugliche Ermächtigungsgrundlage angesehen würde, müsste das polizeiliche Handeln den Anforderungen der Dienstanweisung für den Polizeivollzugsdienst der
Anhaltspunkte für Gefahrenlage waren nur schwach ausgeprägt
Hier fehlt es an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im engeren Sinne. Der Eingriff wiegt schwer. Auf Seiten des Antragstellers sind dessen Statusrechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG betroffen, die ein hochrangiges Rechtsgut darstellen. Das freie Mandat sichert gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG die freie Willensbildung der Abgeordneten und damit eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zwischen den Abgeordneten und den Wählerinnen und Wählern. Es dient auch dazu, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages insgesamt zu gewährleisten. Die Absicht, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages durch die Abwehr äußerer Gefahren zu sichern, wiegt nicht schwerer als die Sicherung der Funktionsfähigkeit durch die Gewährleistung der Integrität der
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 01.07.2020
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ku)
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Dokument-Nr. 28901
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