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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 01.12.2009
- 2 BvR 1387/04 -
BVerfG: Erhebung von "Beiträgen" nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar
Beiträge stellen zulässige Sonderabgabe dar und verletzen Wertpapierhandelsunternehmen nicht in ihrer Berufsfreiheit
Die Erhebung von Jahresbeiträgen nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (EAEG) in Verbindung mit der Beitragsverordnung ist verfassungsgemäß. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
Am 1. August 1998 trat in der Bundesrepublik Deutschland das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (EAEG) in Kraft. Dieses verpflichtet Einlagenkreditinstitute sowie Kreditinstitute und andere Finanzdienstleistungsinstitute mit bestimmten Erlaubnissen unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen, ihre Einlagen und Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften durch die Zugehörigkeit zu einer Entschädigungseinrichtung zu sichern. Hierzu unterscheidet das Gesetz drei verschiedene Institutsgruppen, die entweder der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH oder der Entschädigungseinrichtung des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands GmbH oder der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen zugeordnet sind. Die Entschädigungseinrichtungen haben die Aufgabe, die
Änderung der Vorschriften zur Beitragserhebung im Jahr 2009
Die gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Vorschriften zur Beitragserhebung, die in den für die Jahre 1999 bis 2001 geltenden Fassungen im Verfahren der
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin ist eine Aktiengesellschaft, die sowohl börsliche als auch außerbörsliche Wertpapiergeschäfte betreibt und der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen zugeordnet ist. Gegen die von der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen festgesetzten Jahresbeiträge für die Jahre 1999, 2000 und 2001 legte sie Widersprüche ein, die das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen jeweils zurückwies. Die Klage und die Revsion zum Bundesverwaltungsgericht gegen diese Bescheide blieben erfolglos. Mit der
Grundrecht auf freie Berufsausübung nicht verletzt
Das Bundesverfassungsgericht hat die teilweise zulässige
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die
Grundkonzept der Risikozuweisung ist in die verfassungsrechtliche Würdigung der Jahresbeiträge einzubeziehen
Unbeschadet der damit verbundenen Begrenzung der zulässigen
BVerfG hält Verfassungsbeschwerde für unbegründet
Die
Jahresbeiträge sind Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion
Der Bund konnte die angegriffenen Regelungen im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft gemäß Art. 72 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erlassen. Es handelt sich bei den Jahresbeiträgen um Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion, die den besonderen Anforderungen, die sich für solche Abgaben aus den Schutz- und Begrenzungsfunktionen der Finanzverfassung ergeben, gerecht werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann diese Abgabe nicht als Steuer, sondern nur als eine nichtsteuerliche Abgabe verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden und die Auferlegung einer solchen Abgabe wird grundsätzlich begrenzt durch das Erfordernis eines besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrundes.
Sachzweck der Abgabenerhebung
Die Abgabenerhebung verfolgt einen Sachzweck, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. Die obligatorische Zugehörigkeit zu einer der Entschädigungseinrichtungen ist Bestandteil des für den Zugang der betroffenen Institute zu den Finanzmärkten bestehenden Zulassungssystems (§ 32 Abs. 3, 3a, § 35 Abs. 1 Satz 2 KWG) und so Teil der gesetzlichen Finanzmarktregulierung. Insbesondere soll den Anlegern durch den harmonisierten Mindestschutz der vertrauensvolle Zugang zu Wertpapierdienstleistungen EU-ausländischer Wertpapierfirmen verschafft und Wertpapierfirmen der grenzüberschreitende Vertrieb von Wertpapierdienstleistungen innerhalb der EU ohne die Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einem Anlegerentschädigungssystem außerhalb ihres Heimatlandes ermöglicht werden.
Wertpapierhandelsunternehmen haben Finanzierungsverantwortung
Die gemeinschaftsrechtlich vorstrukturierte Gruppe der Wertpapierhandelsunternehmen ist gerade im Hinblick auf die finanzverfassungsrechtlich entscheidende Sachnähe und Finanzierungsverantwortung für die mit der Abgabenerhebung verfolgten Ziele homogen. Die gemeinschaftsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 der Anlegerentschädigungsrichtlinie zwingend vorgegebene Pflicht des Anschlusses grundsätzlich aller zu Wertpapiergeschäften zugelassenen Unternehmen an ein Entschädigungssystem begründet bereits eine besondere Nähe zu den Schutz- und Sicherungszielen der Anlegerentschädigung. Diese Grundpflicht ist auch unabhängig von weiteren gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, etwa den Regelungen zu staatlichen Beihilfen nach Art. 87 ff. EG, im Ergebnis als ein wesentliches Element einer auch finanzverfassungsrechtlich erheblichen spezifischen Sachnähe der Wertpapierhandelsunternehmen zu werten.
Aufteilung der Ausfallrisiken auf unterschiedliche Institutsgruppen stellt sach- und zweckgerechte Lösung dar
Trotz übergreifender, alle Institutsgruppen betreffenden Finanzmarktrisiken ist es mit den Anforderungen an Sachnähe und Finanzierungsverantwortung einer homogenen Gruppe jedenfalls im Ansatz vereinbar, dass der Gesetzgeber keine einheitliche Entschädigungseinrichtung für alle Einlagenkreditinstitute und Wertpapierhandelsunternehmen und damit keine einheitliche Risikogemeinschaft geschaffen, sondern Risikogemeinschaften und Risikozuweisungen gemäß § 6 Abs. 1 EAEG segmentiert hat durch eine Aufteilung in drei verschiedene Institutsgruppen - privatrechtliche und öffentlichrechtliche Einlagenkreditinstitute sowie Wertpapierhandelsunternehmen als „andere Institute“ -, die jeweils einer eigenen Entschädigungseinrichtung zugeordnet sind. Insbesondere dann, wenn sie auf unterschiedlichen institutionellen und rechtlichen Strukturen der verschiedenen Gruppen in sachgerechter Weise aufbaut, kann diese Segmentierung auch nach Sinn und Zweck der strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erhebung von Sonderabgaben vertretbar sein, denn es geht hierbei nicht um die Grundentscheidung über eine Sonderbelastung, sondern um deren sach- und zweckgerechte Ausgestaltung, für die dem Gesetzgeber ein angemessener Gestaltungsspielraum einzuräumen ist. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der
Gesetzgeber durfte Einschätzungs- und Prognosespielraum für sich in Anspruch nehmen
Die Ausgestaltung funktionsfähiger Entschädigungssysteme auf dem Finanzmarkt stellt eine außerordentlich komplexe Aufgabe dar. Der Gesetzgeber hat mit dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz im Jahr 1998 regulatorisches Neuland betreten, auf dem Einschätzungen und Prognosen mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sind. Vor dem Hintergrund der spezifisch unterschiedlichen Ausgangssituation der Einlagenkreditinstitute auf der einen Seite und der „anderen“ Institute (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EAEG) auf der anderen Seite war die Anknüpfung an erprobte organisatorische Strukturen bereits vorhandener Entschädigungseinrichtungen mit der korrespondierenden Bildung unterschiedlicher Institutsgruppen in dieser Situation dem Grunde nach gut vertretbar. Der Gesetzgeber konnte im Hinblick auf die Eignung der Bildung unterschiedlicher Institutsgruppen nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen einen gewissen Einschätzungs- und Prognosespielraum für sich in Anspruch nehmen.
Finanzierungsverantwortung beinhaltet auch Verantwortungszurechnung für fremdes Fehlverhalten
Sachnähe und Finanzierungsverantwortung der Wertpapierhandelsunternehmen sind auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die finanzielle Inpflichtnahme der zur Entschädigungseinrichtung verbundenen Institute in der Sache eine Verantwortungszurechnung - auch - für die Folgen fremden Fehlverhaltens bedeutet. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Solidarfonds Abfallrückführung schließen es die Grundsätze über die Zulässigkeit von Sonderabgaben nicht von vornherein aus, über eine solche Abgabe im Wege sogenannter Fondslösungen auch die Beseitigung der Folgen von Fehlverhalten - beispielsweise umweltschädigendem Verhalten - in Fällen zu finanzieren, in denen die in erster Linie Verantwortlichen nicht herangezogen werden können, weil sie nicht auffindbar oder nicht zahlungsfähig sind oder aus anderen Gründen eine effektive individuelle Schadenszurechnung nicht möglich ist.
Finanzierungsverantwortung kann auch Instituten mit ausschließlich institutionellen Anlegern zugerechnet werden
Der Gesetzgeber konnte auch jenen Instituten eine Finanzierungsverantwortung zurechnen, deren Kundenkreis sich tatsächlich, wie derjenige der Beschwerdeführerin, ausschließlich auf sogenannte institutionelle Anleger beschränkt, die im Entschädigungsfall gemäß § 3 Abs. 2 EAEG nicht anspruchsberechtigt sind. Die Einbeziehung solcher Institute in den Kreis der Abgabepflichtigen, die nach ihrer Erlaubnis nicht befugt sind, sich Eigentum oder Besitz an Geldern oder Wertpapieren ihrer Kunden zu verschaffen, trägt einerseits möglichen Überschreitungen des aufsichtsrechtlich Erlaubten Rechnung, andererseits bewirkt die Ausfallhaftung der Gesamtgruppe auch diesen Instituten gegenüber den Vorteil der marktstabilisierenden Stärkung des Kundenvertrauens in redliches Geschäftsgebaren.
Jahresbeiträge finden Rechtfertigung in Verantwortlichkeit für die Folgen gruppenspezifischer Zustände und Verhaltensweisen
Das Erfordernis gruppennütziger Verwendung des Aufkommens aus der Sonderabgabe ist ebenfalls erfüllt. Die Jahresbeiträge zur Finanzierung der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen finden ihre Rechtfertigung in einer Verantwortlichkeit für die Folgen gruppenspezifischer Zustände und Verhaltensweisen.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 14.12.2009
Quelle: ra-online, BVerfG
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Dokument-Nr. 8924
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