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Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 27.09.2012
- C-179/11 -
Mitgliedsstaat muss während Prüfung des Asylantrags Mindestgrundversorgung von Asylbewerbern sicherstellen
Verpflichtung zur Sicherstellung der Mindestbedingungen gilt bis zur tatsächlichen Überstellung des Asylbewerbers in zuständigen Mitgliedstaat
Ein Mitgliedsstaat, der mit einem Asylantrag befasst ist, muss die Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern auch dann gewähren, wenn er einen anderen Mitgliedsstaat, den er für die Prüfung des Antrags für zuständig hält, um Aufnahme ersucht. Diese Verpflichtung gilt grundsätzlich ab der Einreichung des Asylantrags bis zur tatsächlichen Überstellung des Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.
Die Richtlinie 2003/9/EG* legt u. a. Mindestnormen für die materiellen Aufnahmebedingungen von Asylbewerbern (insbesondere Unterkunft, Verpflegung, Nahrung und Kleidung in Form von Sach- oder Geldleistungen) fest. Diese Normen ermöglichen ihnen ein menschenwürdiges Leben und vergleichbare Lebensbedingungen in allen Mitgliedstaaten. Die Richtlinie gilt für alle Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die unter den Voraussetzungen der so genannte "Dublin-II-Verordnung"** einen Asylantrag gestellt haben. Diese Verordnung legt die Kriterien zur Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats fest, der also nicht zwangsläufig derjenige ist, in dem der Asylantrag gestellt wurde. Hält ein Mitgliedstaat, bei dem ein Asylantrag gestellt wurde (ersuchender Mitgliedstaat) einen anderen Mitgliedstaat für zuständig (ersuchter Mitgliedstaat), kann er diesen um Aufnahme des Asylbewerbers ersuchen.
Sachverhalt
Am 26. Januar 2010 erhoben zwei französische Vereinigungen, CIMADE und GISTI, beim französischen Conseil d’État Klage auf Nichtigerklärung des ministeriellen Rundschreibens vom 3. November 2009 über die Wartezeitbeihilfe (allocation temporaire d’attente). Als existenzsicherndes Einkommen wird diese Beihilfe den Asylbewerbern monatlich während der gesamten Dauer des Verfahrens zur Prüfung ihres Antrags gezahlt. Die beiden Vereinigungen machen geltend, dass dieses Rundschreiben den Zielen der Richtlinie 2003/9 zuwiderlaufe, indem es
Mitgliedsstaat muss Asylbewerbern in jedem Fall Mindestbedingungen für Aufnahme gewähren
Der Gerichtshof antwortet erstens, dass ein mit einem Asylantrag befasster Mitgliedstaat die Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern auch einem
Mindestaufnahmebedingungen muss auch Asylbewerbern gewährt werden, die auf Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats warten
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Verpflichtung des mit einem Asylantrag befassten Mitgliedstaats, diese Mindestaufnahmebedingungen zu gewähren, "mit der Antragstellung" einsetzt, selbst wenn dieser Staat nicht der Mitgliedstaat ist, der nach den Kriterien der Dublin-II-Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist. Die Richtlinie 2003/9 sieht nämlich nur eine Kategorie von Asylbewerbern vor, die alle Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen umfasst, die einen Asylantrag stellen. Somit müssen die Mindestaufnahmebedingungen nicht nur Asylbewerbern gewährt werden, die sich im Hoheitsgebiet des zuständigen Mitgliedstaats befinden, sondern auch denen, die auf die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats warten, was mehrere Monate dauern kann.
Unabhängig von der tatsächlichen Zuständigkeit dürfen Asylbewerber während Prüfung in Mitgliedsstaat bleiben, in dem der Antrag gestellt wurde
Der Gerichtshof erläutert weiter, dass sich die Verpflichtung des mit einem Asylantrag befassten Mitgliedstaats, die Mindestaufnahmebedingungen zu gewähren, nur auf
Mitgliedsstaat muss bis zur tatsächlichen Überstellung Mindestbedingungen für Aufnahme von Asylbewerbern gewährleisten
Der Gerichtshof stellt zweitens fest, dass die Verpflichtung zur Gewährleistung der Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern ab der Antragstellung und während der gesamten Dauer des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats bis zur tatsächlichen Überstellung des Antragstellers durch den ersuchenden Staat gilt. Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Verfahren im ersuchenden Mitgliedstaat und dessen
Erläuterungen
* - Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31, S. 18).
** - Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50, S. 1). Derzeit wird über Vorschläge verhandelt, mit denen die Richtlinie und die Verordnung ersetzt werden sollen (vgl. KOM[2008] 820 endgültig und KOM[2011] 320 endgültig).
*** - Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326, S. 13).
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 27.09.2012
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online
- Drohende menschenunwürdige Behandlung: Asylbewerber darf nicht nach Italien überstellt werden
(Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 02.07.2012
[Aktenzeichen: A 7 K 1877/12]) - Drohende menschenunwürdige Behandlung: Asylbewerber darf nicht nach Ungarn überstellt werden
(Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 02.04.2012
[Aktenzeichen: A 11 K 1039/12])
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Dokument-Nr. 14241
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