Hier beginnt die eigentliche Meldung:
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 31.05.2016
- 1 BvR 1585/13 -
Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung kann Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigen
Bundesverfassungsgericht kippt Entscheidung des BGH zum Sampling
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung einen Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigen kann. Das gab damit einer Verfassungsbeschwerde statt, die sich gegen die fachgerichtliche Feststellung wendete, dass die Übernahme einer zweisekündigen Rhythmussequenz aus der Tonspur des Musikstücks "Metall auf Metall" der Band "Kraftwerk" in den Titel "Nur mir" im Wege des sogenannten Sampling einen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht darstelle, der nicht durch das Recht auf freie Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) gerechtfertigt ist. Das vom Bundesgerichtshof für die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in das Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der Tonträgerproduzenten herzustellen.
Die Verfassungsbeschwerde des zugrunde liegenden Verfahrens betrifft die Frage, inwieweit sich Musikschaffende bei der Übernahme von Ausschnitten aus fremden Tonträgern im Wege des sogenannten Sampling gegenüber leistungsschutzrechtlichen Ansprüchen der Tonträgerhersteller auf die
Gesetzliche Vorschriften über Tonträgerherstellerrechte mit Kunstfreiheit und Eigentumsschutz vereinbar
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die angegriffenen Entscheidungen drei der insgesamt zwölf Beschwerdeführer in ihrer Freiheit der künstlerischen Betätigung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) verletzen. Die den angegriffenen Urteilen zugrunde gelegten gesetzlichen Vorschriften über das Tonträgerherstellerrecht (§ 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG) und das Recht auf freie Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) sind mit der
Recht auf freie Benutzung dürfte zur Stärkung der Verwertungsinteressen mit Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Vergütung verknüpft werden
Mit den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist auch, dass § 24 Abs. 1 UrhG durch den Verzicht auf eine entsprechende Vergütungsregelung auch das Verwertungsrecht der Urheber oder Tonträgerhersteller beschränkt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die enge Ausnahmeregelung nicht durch eine Vergütungspflicht zu ergänzen, die den Urheber oder Tonträgerhersteller an den Einnahmen teilhaben ließe, die im Rahmen der freien Benutzung seines Werks oder Tonträgers erst in Verbindung mit der schöpferischen Leistung eines anderen entstehen könnten, hält sich in den Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums. Dem Gesetzgeber wäre es allerdings zur Stärkung der Verwertungsinteressen nicht von vornherein verwehrt, das Recht auf freie Benutzung mit einer Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Vergütung zu verknüpfen. Hierbei könnte er der
BVerfG bejaht Verletzung der garantierten Freiheit der künstlerischen Betätigung
Dagegen verletzen die angegriffenen Entscheidungen die beiden Komponisten und die Musikproduktionsgesellschaft des Titels "Nur mir" in ihrer durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Freiheit der künstlerischen Betätigung. Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts die im Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung zwischen dem Eigentumsschutz der Tonträgerhersteller und den damit konkurrierenden Grundrechtspositionen nachzuvollziehen und dabei unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen zu vermeiden. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst dann erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.
Verwertungsinteressen der Urheberrechtsinhaber können zugunsten der Freiheit der künstlerischen Auseinandersetzung zurückzutreten haben
Bei der rechtlichen Bewertung der Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken steht dem Interesse der Urheberrechtsinhaber, die Ausbeutung ihrer Werke zu fremden kommerziellen Zwecken ohne Genehmigung zu verhindern, das durch die
Unzulässigkeit der Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen trägt Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung
Die Annahme des Bundesgerichtshofs, die Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen stelle einen unzulässigen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger dar, soweit der übernommene Ausschnitt gleichwertig nachspielbar sei, trägt der
Lizenzierungsmöglichkeit bietet keinen gleichwertigen Schutz der künstlerischen Betätigungsfreiheit
Der Verweis auf die Lizenzierungsmöglichkeit bietet keinen gleichwertigen Schutz der künstlerischen Betätigungsfreiheit: Auf die Einräumung einer
Einsatz von Samples ist stilprägendes Element des Hip-Hop
Das eigene Nachspielen von Klängen stellt ebenfalls keinen gleichwertigen Ersatz dar. Der Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop. Die erforderliche kunstspezifische Betrachtung verlangt, diese genrespezifischen Aspekte nicht unberücksichtigt zu lassen. Hinzu kommt, dass sich das eigene Nachspielen eines Sample als sehr aufwendig gestalten kann und die Beurteilung der gleichwertigen Nachspielbarkeit für die Kunstschaffenden zu erheblicher Unsicherheit führt.
Erlaubnisfreier Zulässigkeit des Sampling steht nur geringfügiger Eingriff in Tonträgerherstellerrecht gegenüber
Diesen Beschränkungen der künstlerischen Betätigungsfreiheit steht hier bei einer erlaubnisfreien Zulässigkeit des Sampling nur ein geringfügiger Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile gegenüber. Eine Gefahr von Absatzrückgängen für die Kläger des Ausgangsverfahrens durch die Übernahme der Sequenz in die beiden streitgegenständlichen Versionen des Titels "Nur mir" ist nicht ersichtlich. Eine solche Gefahr könnte im Einzelfall allenfalls dann entstehen, wenn das neu geschaffene Werk eine so große Nähe zu dem Tonträger mit der Originalsequenz aufwiese, dass realistischerweise davon auszugehen wäre, dass das neue Werk mit dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz treten werde. Dabei sind der künstlerische und zeitliche Abstand zum Ursprungswerk, die Signifikanz der entlehnten Sequenz, die wirtschaftliche Bedeutung des Schadens für den Urheber des Ausgangswerks sowie dessen Bekanntheit einzubeziehen. Allein der Umstand, dass § 24 Abs. 1 UrhG dem Tonträgerhersteller die Möglichkeit einer Lizenzeinnahme nimmt, bewirkt ebenfalls nicht ohne weiteres - und insbesondere nicht im vorliegenden Fall - einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil des Tonträgerherstellers. Der Schutz kleiner und kleinster Teile durch ein Leistungsschutzrecht, das im Zeitablauf die Nutzung des kulturellen Bestandes weiter erschweren oder unmöglich machen könnte, ist jedenfalls von Verfassungs wegen nicht geboten.
Verwertungsinteressen der Tonträgerhersteller müssen zurücktreten
Insoweit haben die Verwertungsinteressen der Tonträgerhersteller in der Abwägung mit den Nutzungsinteressen für eine künstlerische Betätigung zurückzutreten. Das vom Bundesgerichtshof für die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in das Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der Tonträgerproduzenten herzustellen.
BGH muss erneut entscheiden
Der Bundesgerichtshof kann bei der erneuten Entscheidung die hinreichende Berücksichtigung der
Werbung
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 31.05.2016
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
- BGH zum Tonträger-Sampling
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.11.2008
[Aktenzeichen: I ZR 112/06 - Metall auf Metall]) - OLG Hamburg: Kein Recht auf freie Nutzung eines Musik-Samples von "Kraftwerk" für Song von Sabrina Setlur
(Hanseatisches Oberlandesgericht in Hamburg, Urteil vom 17.08.2011
[Aktenzeichen: 5 U 48/05]) - Musik-Sample von "Kraftwerk" durfte nicht für Sabrina Setlur-Song verwendet werden
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.12.2012
[Aktenzeichen: I ZR 182/11])
Urteile sind im Original meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst kostenlose-urteile.de alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Dokument-Nr. 22681
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://www.kostenlose-urteile.de/Urteil22681
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.
Senden Sie uns diese Entscheidungen doch einfach für kostenlose-urteile.de zu. Unsere Redaktion schaut gern, ob sich das Urteil für eine Veröffentlichung eignet.