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Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.06.2024
IV ZR 140/23 -

BGH stärkt Diesel-Kläger mit Rechts­schutz­versicherung

Rechtsschutz­versicherer muss Kosten für Dieselklage tragen

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht des Deckungs­schutz­anspruchs eines Versicherungs­nehmers in der Rechts­schutz­versicherung der Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich ist, wenn im Deckungs­schutz­verfahren nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (hier durch den Gerichtshof der Europäischen Union in den sog. Dieselverfahren) zu seinen Gunsten erfolgt.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Deckungsschutz für die außergerichtliche und erstinstanzliche Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen gegen eine Herstellerin wegen behaupteter Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung bei einem von ihm erworbenen Fahrzeug in Anspruch. Er unterhält bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung, die Schadensersatzansprüche umfasst. Der Kläger erwarb im August 2020 ein gebrauchtes Wohnmobil zu einem Kaufpreis von 39.790 €. Er beabsichtigt mit einer Klage gegen die Herstellerin, Schadensersatzansprüche gerichtet auf Rückabwicklung des Kaufvertrages geltend zu machen. Er wirft ihr vor, die Verantwortlichen hätten das von ihm erworbene Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen, insbesondere einem Thermofenster, ausgestattet und ihn dadurch vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt. Die Beklagte hat die erbetene Kostenzusage Mitte Februar 2021 abgelehnt, weil weder ein Rechtsverstoß vorliege noch Erfolgsaussichten in der Sache bestünden. Das LG hat die Deckungsschutzklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG - im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 15. Mai 2023 - das erstinstanzliche Urteil abgeändert und unter anderem festgestellt, dass die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag verpflichtet ist, die Kosten der erstinstanzlichen Geltendmachung von deliktischen Schadensersatzansprüchen des Klägers gegen die Herstellerin zu tragen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt.

EuGH-Urteil muss in Prüfung Erfolgsaussichten beachtet werden

Der BGH hat die Revision des Versicherers zurückgewiesen. Erfolgt nach dem Zeitpunkt der sogenannten Bewilligungsreife eine Klärung der Rechtslage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (hier EuGH) zugunsten des Versicherungsnehmers, sind für die Beurteilung des Deckungsschutzanspruchs die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich. Für die Frage, ob die beabsichtigte Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist zwar grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs, d.h. auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsschutzversicherer seine Entscheidung trifft (hier Dezember 2021), abzustellen. Treten aber - wie hier - zwischen der ablehnenden Entscheidung des Deckungsschutzantrags und der gerichtlichen Entscheidung über eine Deckungsklage Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten ein, die sich zugunsten des Rechtsschutzsuchenden auswirken und die nach dem einschlägigen Fachrecht zu berücksichtigen sind, sind diese bei der Prüfung der Erfolgsaussichten zu beachten. Das Berufungsgericht hat im Streitfall daher zu Recht bei der Prüfung der Erfolgsaussichten die nach dem Zeitpunkt der Deckungsablehnung ergangene, dem klagenden Versicherungsnehmer günstige Entscheidung des EuGH, berücksichtigt, wonach Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG (Rahmenrichtlinie) i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs schützen können.

Weitere Entwicklung der Rechtsprechung nicht abzusehen

Das Berufungsgericht hat auch rechtsfehlerfrei entschieden, dass die vom Kläger beabsichtigte gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen Aussicht auf Erfolg hat. Zum Zeitpunkt des Ablaufs der im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO bis zum 15. Mai 2023 festgesetzten Schriftsatzfrist, die dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, ist das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der genannten Entscheidung des EuGH vom 21. März 2023 sowie der Anforderungen an die hinreichenden Erfolgsaussichten der beabsichtigen Klage nach der Behauptung des Klägers zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aufgrund des behaupteten Thermofensters ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Annahme eines fälligen Schadensersatzanspruchs aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG (Rahmenrichtlinie) jedenfalls nicht unvertretbar erschien. Zu diesem Zeitpunkt bedurften die Einzelheiten der Voraussetzungen und der Modalitäten eines solchen Schadensersatzanspruchs noch einer weiteren Klärung, die erst durch die Urteile des BGH vom 26. Juni 2023 erfolgte. Soweit sich aus den neueren Entscheidungen des BGH ergeben könnte, dass dem Kläger der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht oder nur im geringeren Umfang zusteht, führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis, weil das Berufungsgericht zum Zeitpunkt des Erlasses seines Urteils die weitere Entwicklung der Rechtsprechung nicht absehen konnte.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 06.06.2024
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

Vorinstanzen:
  • Landgericht Dortmund, Urteil vom 04.01.2023
    [Aktenzeichen: 7 O 20/22]
  • Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 12.06.2023
    [Aktenzeichen: 6 U 22/23]
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