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Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 13.12.2007
C-250/06 -

Kabelnetzbetreiber: Pflicht zur Übertragung bestimmter Fernsehprogramme ist rechtmäßig

Die Erteilung des "must carry"-Status an Rundfunkveranstalter kann durch Kulturpolitik gerechtfertigt sein. Die Erteilung dieses Status' muss einem transparenten Verfahren unterliegen und auf objektiven, nicht diskriminierenden Kriterien beruhen.

UPC, die Coditel Brabant SPRL, Brutélé und die Wolu TV ASBL sind Kabelnetzbetreiber, die vor allem im zweisprachigen Gebiet Brüssel-Hauptstadt (Belgien) die Versorgung mit Programmen zahlreicher Rundfunkveranstalter gewährleisten.

Nach nationalem Recht sind sie verpflichtet, in diesem Gebiet die Programme zu übertragen, die von bestimmten Rundfunkveranstaltern, die der Zuständigkeit der französischen oder der flämischen Gemeinschaft unterstehen und den "must carry"-Status besitzen, gesendet werden. Die Regelung über die Übertragungspflicht ("must carry") soll den pluralistischen und kulturellen Charakter des Programmangebots in Kabelfernsehnetzen sichern und den Zugang aller Fernsehzuschauer zu dieser Meinungsvielfalt gewährleisten.

Die Kabelnetzbetreiber sind jedoch der Auffassung, dass diese Regelung den freien Dienstleistungsverkehr in ungerechtfertigter Weise behindere. Der belgische Conseil d'État, bei dem die Kabelnetzbetreiber diese Regelung angefochten haben, hat daher dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Dieser stellt zunächst fest, dass eine solche Übertragungspflicht unmittelbar die Bedingungen für den Zugang zum Dienstleistungsmarkt festlegt, indem sie den in anderen Mitgliedstaaten als dem Königreich Belgien niedergelassenen Dienstleistungserbringern, die den "must carry"-Status nicht besitzen, eine Belastung, nämlich die Bedingungen für den Zugang zum Kabelnetz aushandeln zu müssen, auferlegt, die die Dienstleistungserbringer mit diesem Status nicht zu tragen haben. Ferner wird der "must carry"-Status, selbst wenn die Regelung so zu verstehen sein sollte, dass sie ihn nicht ausdrücklich den in Belgien niedergelassenen Rundfunkveranstaltern vorbehält, wohl eher diesen als den in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Rundfunkveranstaltern gewährt werden, da dieser Status ein kulturpolitisches Instrument ist, das im Wesentlichen sicherstellen soll, dass die belgischen Staatsbürger Zugang zu lokalen und nationalen Informationen und zu ihrer eigenen Kultur haben. Eine solche Regelung ist daher geeignet, die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten zu behindern. Der Gerichtshof erinnert jedoch zunächst daran, dass Kulturpolitik einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eine Beschränkung des Dienstleistungsverkehrs rechtfertigt.

Die streitige nationale Regelung verfolgt ein Ziel des Allgemeininteresses, da sie den pluralistischen Charakter des Fernsehprogrammangebots erhalten soll und damit Teil einer Kulturpolitik ist, die die Meinungsfreiheit der verschiedenen gesellschaftlichen, kulturellen, sprachlichen, religiösen und geistigen Strömungen im audiovisuellen Bereich in diesem Gebiet schützen soll.

Sodann stellt eine solche Übertragungspflicht in Anbetracht der Zweisprachigkeit im Gebiet Brüssel-Hauptstadt ein geeignetes Mittel dar, um das angestrebte kulturpolitische Ziel zu erreichen, da sie sicherstellt, dass den Zuschauern der Zugang in ihrer eigenen Sprache zu lokalen und nationalen Informationen sowie zu Programmen, die für ihre Kultur charakteristisch sind, nicht vorenthalten wird.

Schließlich stellt der Gerichtshof zur Frage, ob die streitige Regelung zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist, fest, dass die nationalen Stellen zwar insoweit über ein weites Ermessen verfügen, dass die Maßnahmen zur Durchführung einer solchen Politik aber in keinem Fall außer Verhältnis zu diesem Ziel stehen dürfen und dass ihre Anwendung nicht zur Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten führen darf. Daher muss die Erteilung des "must carry"-Status erstens einem transparenten Verfahren unterliegen, das auf den Rundfunkveranstaltern im Voraus bekannten Kriterien beruht, um zu verhindern, dass die Mitgliedstaaten das ihnen zustehende Ermessen missbräuchlich ausüben. Insbesondere müssen die Rundfunkveranstalter in der Lage sein, im Voraus die Art und den Umfang der zu erfüllenden Voraussetzungen sowie der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, die sie gegebenenfalls eingehen müssen, um diesen Status zu erhalten, genau festzustellen. Die bloße Formulierung von Grundsatzerklärungen und allgemeinpolitischen Zielen in der Begründung der nationalen Regelung kann insoweit nicht als ausreichend angesehen werden. Zweitens muss die Erteilung des "must carry"-Status auf objektiven Kriterien beruhen, die geeignet sind, Pluralismus sicherzustellen, indem sie gegebenenfalls durch öffentlich-rechtliche Verpflichtungen den Zugang u. a. zu überregionalen und nationalen Informationen in dem betroffenen Gebiet ermöglichen. Dieser Status kann daher nicht automatisch allen Fernsehsendern gewährt werden, die von einem privaten Rundfunkveranstalter ausgestrahlt werden, sondern ist streng auf diejenigen zu beschränken, deren gesamter Programminhalt geeignet ist, ein solches Ziel zu erreichen. Außerdem darf die Zahl der Kanäle, die für private Rundfunkveranstalter mit "must carry"-Status reserviert sind, nicht offensichtlich höher sein, als zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist.

Drittens dürfen die Kriterien, nach denen der "must carry"-Status gewährt wird, nicht diskriminierend sein. Insbesondere darf die Gewährung dieses Status' weder rechtlich noch faktisch von einer Niederlassung im nationalen Hoheitsgebiet abhängig sein. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 13.12.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 93/07 des EuGH vom 13.12.2007

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