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Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.10.2016
- III ZR 140/15 -
Kunduz: Keine Anwendung des deutschen Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr
Kein Schadensersatzanspruch für nahe Angehörige der getöteten Zivilisten
Das deutsche Amtshaftungsrecht findet keine Anwendung auf Schadensfälle, die bei dem bewaffneten Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte ausländischen Bürgern zugefügt werden. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden.
Im vorliegenden Fall nehmen die Kläger, afghanische Staatsangehörige, die beklagte Bundesrepublik Deutschland mit der Behauptung auf
Klage scheitert in Vorinstanzen
Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
BGH: Amtshaftungsrecht nicht auf militärische Handlungen anwendbar
Der Bundesgerichtshof hat in Bestätigung und Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass den Klägern kein unmittelbarer völkerrechtlicher Schadensersatzanspruch zusteht und sie auch keinen Schadensersatzanspruch nach nationalem (deutschen) Recht haben, da das Amtshaftungsrecht (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG) auf militärische Handlungen der
Kein Anspruch des Einzelnen auf Schadenersatz oder Entschädigung
Es gibt nach wie vor keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf
Keine Entscheidung über Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Amtshaftung erfolgt
Bei Schaffung des zusammen mit dem gesamten Bürgerlichen Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen § 839 BGB dachte der Gesetzgeber nicht daran, dass hierdurch auch Schäden durch militärische Kampfhandlungen im Ausland ersatzfähig sein sollten. Dementsprechend stand nach dem traditionellen Verständnis des Amtshaftungs- und Völkerrechts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs rechtlich außer Frage, dass militärische (Kriegs-)Handlungen im Ausland vom damaligen Amtshaftungstatbestand (§ 839 BGB i.V.m. Art. 131 der Weimarer Reichsverfassung) ausgenommen waren. Bei Erarbeitung der Vorschrift des Art. 34 GG und bei Inkrafttreten des Grundgesetzes hatte der historische Gesetzgeber weder die Aufstellung deutscher Streitkräfte noch deren Beteiligung an Kampfhandlungen im Ausland im Blick. Auch in der Folgezeit ist keine gesetzgeberische Entscheidung dahingehend erfolgt, den Anwendungsbereich der
Völkerrechtliches Haftungsregime als speziellere Regelung ansehbar
Gegen die Anwendbarkeit des allgemeinen Amtshaftungstatbestands bei Kampfhandlungen deutscher Streitkräfte im Ausland sprechen auch systematische Erwägungen in Bezug auf das völkerrechtliche Haftungsregime, das als eine das nationale Recht überlagernde, speziellere Regelung anzusehen ist.
Folgen einer Ausweitung des Anwendungsbereichs
Die Werteordnung des Grundgesetzes zwingt nicht zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der Amtshaftungsnormen. Würde man das anders sehen, könnte es in mehrfacher Hinsicht zu Beeinträchtigungen der von Verfassungs wegen geforderten Bündnisfähigkeit Deutschlands und des außenpolitischen Gestaltungsspielraums kommen (z.B. Zurechnung völkerrechtswidriger Handlungen eines anderen Bündnispartners, kaum eingrenzbare - gesamtschuldnerische - Haftungsrisiken). Unter dem Gesichtspunkt der Haushaltsprärogative des Parlaments ist die Entscheidung über die Zubilligung von Entschädigungs- und Ausgleichsansprüchen im Zusammenhang mit bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte dem Gesetzgeber vorbehalten und kann nicht Gegenstand richterlicher Rechtsfortbildung sein.
Keine Amtspflichtverletzung gegen Regeln des humanitären (Kriegs-)Völkerrechts feststellbar
Unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts scheitert ein hierauf gestützter Schadensersatzanspruch der Kläger im Streitfall jedenfalls daran, dass im Zusammenhang mit dem Luftangriff auf die beiden entführten Tanklastwagen keine Amtspflichtverletzungen deutscher Soldaten oder Dienststellen im Sinne konkreter schuldhafter Verstöße gegen Regeln des humanitären (Kriegs-)Völkerrecht zum Schutze der Zivilbevölkerung festgestellt sind. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt, dass für den PRT-Kommandeur nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten die Anwesenheit von Zivilpersonen im Zielbereich des Luftangriffs objektiv nicht erkennbar war. Die getroffene militärische Entscheidung war daher völkerrechtlich zulässig.
§ 839 BGB lautet:
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Art. 34 GG lautet:
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf
Art. 131 der Weimarer Reichsverfassung lautete:
(1) Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortung grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht. Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden.
(2) Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob.
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 07.10.2016
Quelle: Bundesgerichtshof/ ra-online
- Landgericht Bonn, Urteil vom 11.12.2013
[Aktenzeichen: 1 O 460/11] - Kunduz-Angriff: Opfer haben keinen Anspruch auf Entschädigung
(Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 30.04.2015
[Aktenzeichen: 7 U 4/14])
- Keine Schadensersatzpflicht der BRD wegen ziviler Opfer eines NATO-Luftangriffs im Kosovo-Krieg
(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13.08.2013
[Aktenzeichen: 2 BvR 2660/06 und 2 BvR 487/07]) - BGH verneint Ersatzansprüche der Geschädigten des NATO-Angriffs auf die Brücke von Varvarin gegen die Bundesrepublik Deutschland
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.11.2006
[Aktenzeichen: III ZR 190/05 ]) - Einstellung der Ermittlungen gegen Oberst und Hauptfeldwebel der Bundeswehr nach Luftangriff in Kunduz verfassungsgemäß
(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.05.2015
[Aktenzeichen: 2 BvR 987/11])
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Dokument-Nr. 23253
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