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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.07.2013
1 BvR 1751/12 -

BVerfG: Bezeichnung einer Rechtsanwalts­kanzlei als „Winkeladvokatur“ kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein

Abwägung zwischen Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeits­recht des Unterlassungs­klägers erforderlich

Eine Rechtsanwalts­kanzlei im Rahmen eines Zivilprozesses als „Winkeladvokatur“ zu bezeichnen, kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Dies entschied das Bundesverfassungs­gericht und hob daher die angegriffenen Unterlassungs­urteile auf. Es obliegt nun den Zivilgerichten, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers mit dem allgemeinen Persönlichkeits­recht des kritisierten Anwalts abzuwägen.

In dem zugrunde liegenden Fall ist der Beschwerdeführer Rechtsanwalt und vertrat wiederholt eine Patientin in Arzthaftungsprozessen gegen mehrere Zahnärzte. Der im zivilgerichtlichen Ausgangsverfahren auf Unterlassung klagende Rechtsanwalt vertrat mehrfach jeweils zwei der beklagten Zahnärzte. Der Beschwerdeführer warf dem Rechtsanwalt Parteiverrat und widerstreitende Interessen vor, weil er nur einen seiner Mandanten effektiv gegen Haftungsvorwürfe habe verteidigen können, aber nicht beide. In einem anderen Verfahren monierte der Beschwerdeführer in einem Schriftsatz einen widersprüchlichen Außenauftritt des Rechtsanwalts, denn es sei nicht klar, ob dieser mit zwei Rechtsanwälten in einer Sozietät oder in einer Bürogemeinschaft zusammenarbeite. Hier zeige sich eine Parallele zu den von ihm vertretenen Zahnärzten, bei denen auch nicht klar sei, ob sie eine Praxisgemeinschaft oder eine Gemeinschaftspraxis bildeten. Dem Schriftsatz fügte der Beschwerdeführer eine E-Mail aus einem berufsständischen Verfahren an die Rechtsanwaltskammer bei. Dort heißt es unter anderem:

„Mir persönlich erscheint es daher fragwürdig, wie es die Rechtsanwälte … mit ihrer prozessualen Wahrheitspflicht halten, wenn sie dem Gericht gegenüber eine ‚Kooperation‘ behaupten, wo sonst von ihnen allenthalben der Eindruck einer Sozietät zu vermitteln versucht wird.

Ich gehe davon aus, dass es nicht unsachlich ist, eine solche geschickte Verpackung der eigenen Kanzlei - mal als Kooperation, mal als Sozietät (wie es gerade günstig ist) - als ‚Winkeladvokatur‘ zu apostrophieren.“

OLG: Bezeichnung als "Winkeladvokat" vollkommen unangemessen und unnötig

Das Landgericht (Landgericht Köln, Urteil v. 15.11.2011 - 5 O 344/10 -) und das Oberlandesgericht (Oberlandesgericht Köln, Urteil v. 18.07.2012 - 16 U 184/11 -) verurteilten den Beschwerdeführer, es zu unterlassen, den Unterlassungskläger als Winkeladvokaten oder das von ihm geführte Büro als Winkeladvokatur zu bezeichnen, wobei das Landgericht die Äußerung als Schmähkritik einordnete und schon aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen ließ, während das Oberlandesgericht zwar eine Interessenabwägung durchführte, diese aber zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen ließ, weil die Äußerung für den Anlass vollkommen unangemessen und unnötig sei. Diese Urteile verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).

Unterlassungskläger wird in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt

Zutreffend ist allerdings, dass durch den Begriff „Winkeladvokatur“ in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Unterlassungsklägers eingegriffen wird. Denn er insinuiert, dass der Kläger ein Rechtsanwalt sei, der eine geringe fachliche Eignung aufweist und dessen Seriosität zweifelhaft ist. Dies setzt ihn in seiner Persönlichkeit herab.

Bezeichnung als "Winkeladvokat" nicht als Schmähkritik einzuordnen

Es handelt sich jedoch hier nicht um Schmähkritik. Verfassungsrechtlich ist die Schmähung eng definiert. Eine Schmähkritik ist spezifisch dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dies kann hier aber nicht angenommen werden, denn die Äußerung hat einen Sachbezug.

Rechtsschutz gegenüber Prozessbehauptungen nur, wenn sich ihre Mitteilung als missbräuchlich darstellt

Verfassungsrechtlich geboten war also eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Unterlassungsklägers. In dieser Abwägung muss das Gericht, an das zurückverwiesen wurde, berücksichtigen, dass die Äußerung zunächst nur gegenüber der Rechtsanwaltskammer getätigt und dann in einen Zivilprozess eingeführt wurde, in dem nur die Prozessbeteiligten und das Gericht von ihr Kenntnis nehmen konnten. Rechtsschutz gegenüber Prozessbehauptungen ist nur gegeben, wenn die Unhaltbarkeit der Äußerung auf der Hand liegt oder sich ihre Mitteilung als missbräuchlich darstellt; die bloße „Unangemessenheit“ und „Unnötigkeit“ der Äußerung reichen dafür nicht aus. Das Gericht muss des Weiteren berücksichtigen, dass der Vorwurf des Winkeladvokaten nur eine begrenzt gewichtige Herabsetzung allein in der beruflichen Ehre bedeutet und den Unterlassungskläger damit lediglich in seiner Sozialsphäre betrifft. Die Verurteilung zur Unterlassung einer Äußerung muss im Interesse des Schutzes der Meinungsfreiheit auf das zum Rechtsgüterschutz unbedingt Erforderliche beschränkt werden. Sie hat dagegen nicht den Zweck, die sachliche Richtigkeit oder Angemessenheit der betreffenden Meinungsäußerung in dem Sinne zu gewährleisten, dass zur Wahrung allgemeiner Höflichkeitsformen überspitzte Formulierungen ausgeschlossen werden.

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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 09.08.2013
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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