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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23.05.2022
- 1 BvR 1187/17 -
BVerfG: Pflicht zur Beteiligung von Anwohnern und standortnahen Gemeinden an Windparks im Grundsatz zulässig
Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger gerechtfertigt
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern (Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz - BüGembeteilG) ganz überwiegend mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
.Nach § 3 BüGembeteilG dürfen in Mecklenburg-Vorpommern Windenergieanlagen nur durch eine „Projektgesellschaft“ errichtet und betrieben werden, die ausschließlich der Erzeugung von Windenergie dient. Der Vorhabenträger hat gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 BüGembeteilG den „Kaufberechtigten“ mindestens 20 % der Anteile an der Projektgesellschaft anzubieten. Kaufberechtigt sind Personen, die in einer Entfernung von nicht mehr als fünf Kilometer vom
Gesetzgebungskompetenz des Landes gegeben
Das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz ist formell und überwiegend auch materiell verfassungsgemäß. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes ist gegeben. Insbesondere schaffen die Pflichten der Vorhabenträger zur Gründung von Projektgesellschaften und zur
Zahlreiche verfassungsrechtliche Pflichten und Ziele gefördert
Die angegriffenen Pflichten zur Gründung von Projektgesellschaften und zur
Eignung und Erforderlichkeit
Die den Vorhabenträgern auferlegten Pflichten sind im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet und erforderlich, um diese Gemeinwohlziele erreichen zu können. Insbesondere ist die Annahme des Gesetzgebers nicht zu beanstanden, dass die Akzeptanz für Windenergieanlagen an Land durch eine
Angemessenheit des Eingriffs gegeben
Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger steht nicht außer Verhältnis zum Gewicht und zur Dringlichkeit der verfolgten Gemeinwohlzwecke. Allerdings weist der Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger eine beträchtliche Intensität auf. Die Pflicht zur Gründung von Projektgesellschaften nimmt ihnen die Möglichkeit, Windparks durch ihr eigenes Unternehmen oder in einer sonst zweckdienlichen Art und Weise zu betreiben. Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit wird weiter durch gesetzliche Vorgaben zur akzeptanzsteigernden und den kommunalrechtlichen Anforderungen an eine gesellschaftsrechtliche
Beträchtliche Gemeinwohlbelange
Dem stehen Gemeinwohlbelange von ebenfalls beträchtlichem Gewicht gegenüber. Das gilt einmal für den Schutz des Klimas und der Grundrechte vor den Folgen des Klimawandels. Dieser Gewichtung steht nicht entgegen, dass die Strommenge, die infolge des in ihrem Anwendungsbereich auf Mecklenburg-Vorpommern begrenzten Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetzes durch eine vermehrte Nutzung der Windenergie ohne CO2-Emissionen erzielt werden kann, angesichts der gegenwärtig global emittierten Gesamtmenge an CO2 offensichtlich sehr gering ist. Gerade weil der Klimawandel durch zahlreiche, für sich genommen oftmals geringe Mengen an Treibhausgasemissionen verursacht wird, kann er auch nur durch Maßnahmen zur Begrenzung all dieser Emissionen angehalten werden. Es liegt hier in der Natur der Sache, dass einzelnen Maßnahmen für sich genommen nicht die allein entscheidende Wirkung zukommt. Weil der Klimawandel aber nur angehalten werden kann, wenn all diese vielen, für sich genommen oft kleinen Mengen von CO2-Emissionen lokal vermieden werden, kann einer einzelnen Maßnahme nicht entgegengehalten werden, sie wirke sich nur geringfügig aus.
Gemeinwohlbedeutung durch Gesamtbetrachtung festzustellen
Ohnehin kann die Gemeinwohlbedeutung von Maßnahmen der Länder oder Kommunen zur Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien nicht allein nach der Strommenge bemessen werden, die bezogen auf den jeweiligen räumlich begrenzten Anwendungsbereich erzielt wird. Vielmehr kommt es auch auf eine Gesamtbetrachtung der durch gleichartige Maßnahmen erzielten oder erzielbaren Strommenge an. Gemeinwohlverstärkend kann sich insoweit insbesondere auswirken, dass Maßnahmen wegen ihres Pilotcharakters länderübergreifende Bedeutung haben. Das ist hier der Fall. Offenkundig stößt der Ausbau der Windenergie an Land auf Akzeptanzprobleme. Diese sind nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers dort geringer, wo Windenergie durch lokal verankerte, auf das einzelne Projekt bezogene Gesellschaften unter kommunaler und bürgerschaftlicher Teilhabe erzeugt wird. Das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz sichert mit entsprechenden Verpflichtungen der Vorhabenträger eine bürgerschaftliche und kommunale Teilhabe an lokalen Projekten zur Erzeugung von Windenergie erstmals hoheitlich auch dort, wo sie eigeninitiativ nicht zustande kommt. Das Gesetz kann daher als Modell für vergleichbare Regelungen zur Sicherung einer akzeptanzsteigernden bürgerschaftlichen und kommunalen
Pilotcharakter für Verwirklichung von Klimaschutzzielen
Darüber hinaus können einzelne Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien Gemeinwohlbedeutung dadurch erlangen, dass sie einen Beitrag zu dem in eine internationale Kooperation eingebundenen nationalen
Rechtfertigung möglich
Die danach insgesamt beträchtliche Gemeinwohlbedeutung der den Vorhabenträgern auferlegten Pflichten vermag die damit verbundene Beschränkung der Berufsfreiheit derselben trotz ihrer Intensität zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat dem Belang einer Förderung des Ausbaus der Windenergie durch Akzeptanzsteigerung nicht einseitig Vorrang gegenüber den gegenläufigen Interessen der Vorhabenträger gegeben. Dies gilt gerade auch für die besonders eingriffsintensive Pflicht der Vorhabenträger zur Veräußerung von Anteilen an einer eigens zu gründenden und allein der Erzeugung von Windenergie dienenden Projektgesellschaft. Sie beruht auf der vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers, dass die Akzeptanz für Windparks dann besonders hoch ist, wenn sie von einer lokal verankerten Projektgesellschaft unter bürgerschaftlicher und kommunaler Mitverantwortung betrieben werden. Das Eingriffsgewicht dieser Pflicht wird dadurch erheblich gemildert, dass es den Vorhabenträgern freigestellt ist, den kaufberechtigten Anwohnerinnen und Anwohnern den Erwerb eines Sparprodukts anzubieten, um die sich aus der Gesellschafterstellung einer Vielzahl von Einwohnern ergebenden Belastungen vermeiden zu können. Soweit die Vorhabenträger bei fehlender Zustimmung standortnaher Gemeinden zur Zahlung einer Abgabe gezwungen sind, Anteile an diese zu veräußern, ist dies zudem auf einen Umfang unterhalb der Sperrminorität begrenzt; die Gemeinden können daher weder das operative Geschäft der Projektgesellschaft bestimmen noch Gesellschafterentscheidungen blockieren. Außerdem können sich die Beteiligungspflichten auch privatnützig auswirken. Denn das gesetzliche Ziel, die Akzeptanz zu verbessern, um so eine Voraussetzung für die verstärkte Nutzung der Windenergie an Land zu schaffen, deckt sich mit dem Gesamtinteresse der Branche der Anlagenbetreiber an einer Ausweitung der zur Erzeugung von Windenergie geeigneten Flächen. Dies relativiert die Schmälerung der Rendite, die die Vorhabenträger infolge der
Informationspflicht wegen damit verbundenen Aufwendungen unverhältnismäßig
Unverhältnismäßig ist hingegen die mit erheblichen Aufwendungen verbundene Pflicht zur unverzüglich nach Erhalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung abzugebenden umfassenden Information der standortnahen Gemeinden über das Vorhaben und die wirtschaftlichen Daten eines Erwerbs von Anteilen an der Projektgesellschaft, soweit sie auch für diejenigen Vorhabenträger besteht, welche den Gemeinden anstelle eines Anteilserwerbs die Zahlung einer Abgabe anbieten möchten. Nach den vorliegenden Erkenntnissen hängt die Entscheidung der Gemeinden weniger von den näheren wirtschaftlichen Rahmendaten des Erwerbs von Anteilen an der Gesellschaft ab, zumal angesichts des strengen, ausschließlich auf die Erzeugung von Windenergie bezogenen Projektcharakters derselben ohnehin nicht von einem ernsthaften Verlustrisiko ausgegangen werden kann. Vielmehr gab es bereits im Gesetzgebungsverfahren Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeinden im Regelfall wegen des mit einer gesellschaftsrechtlichen
Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt
Die angegriffenen Regelungen greifen daneben nicht in die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG ein, weil dieses Grundrecht hier durch das sachnähere Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG verdrängt wird. Es liegt auch keine Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG vor, weil der Staat nicht gezielt auf Anteile einzelner Vorhabenträger an Projektgesellschaften zugreift, um mit diesen Anteilen bestimmte öffentliche Aufgaben erfüllen zu können. Die ungleiche Behandlung der abgabepflichtigen Vorhabenträger gegenüber den dieser Abgabe nicht unterliegenden Steuerpflichtigen ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Wie oben ausgeführt, dient die Abgabe nicht der Finanzierung gemeindlicher Aufgaben, sondern unmittelbar selbst der gemeinwohldienlichen Förderung des Ausbaus der Windenergie an Land durch eine Verbesserung der Akzeptanz hierfür in der Bevölkerung. Die Abgabe ist als solche zur Erreichung der damit verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes von Grundrechten vor schädlichen Folgen des Klimawandels und der Sicherung der Stromversorgung geeignet, erforderlich und angemessen. Auch die Abgabenbelastung steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung dieser Ziele, zumal es in die Entscheidungsfreiheit der Vorhabenträger fällt, ob sie den standortnahen Gemeinden die Zahlung der Abgabe anstelle einer gesellschaftsrechtlichen
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 09.05.2022
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/cc)
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Dokument-Nr. 31730
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