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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.03.2010
- L 12 VG 2/06 -
Stalking-Opfer hat Anspruch auf Beschädigtenrente
Auch "gewaltlose" Nachstellungen eines Stalkers können als "tätlicher Angriff" gewertet werden
Massive Nachstellungen eines so genannten "Stalkers" können auch dann als "tätlicher Angriff" zu werten sein, wenn es zwischen dem Stalker und seinem Opfer nur zu geringfügigen oder gar keinen körperlichen Berührungen kommt. Dies entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen.
Im zugrunde liegenden Fall war eine Frau über fast zwei Jahre nahezu pausenlosen Belästigungen eines Stalkers ausgesetzt und daran schwer psychisch erkrankte. Die Frau war gegen ihren Willen nahezu täglich unzähligen Telefonanrufen, SMS, Postkarten, Paketsendungen etc. ausgesetzt. Der Stalker alarmierte unter ihrem Namen wiederholt u. a. die Polizei, die Feuerwehr und Rettungsdienste, beauftragte ein Bestattungsunternehmen sowie diverse Pizza-Dienste und bestellte Versandhausartikel. Daneben lauerte er ihr vor der Wohnung und bei der Arbeit auf, verfolgte sie auf der Straße, bedrohte sie und ihre Kinder sowie Arbeitskollegen. Der Stalker wurde wegen der Übergriffe mehrfach bestraft und verbüßte schließlich eine mehrmonatige Freiheitsstrafe.
Sozialgericht lehnt Entschädigungsanspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz ab
Einen Entschädigungsanspruch für die Frau nach dem Opferentschädigungsgesetz lehnten das zuständige Versorgungsamt und das Sozialgericht in erster Instanz ab, weil das Gesetz einen "tätlichen Angriff" verlange, der Stalker die Frau aber praktisch nicht berührt habe.
LSG sieht in Verhalten des Stalkers "tätlichen Angriff" und spricht Anspruch auf Beschädigtenrente zu
Auf die Berufung des Opfers gab das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen der Frau Recht und stimmte einem Anspruch auf eine Beschädigtenrente zu. Auch "gewaltlose" Nachstellungen eines Stalkers können in ihrer Gesamtheit als "tätlicher Angriff" zu werten sein, wenn sie sich bewusst auch gegen die Gesundheit des Opfers richten und es z. B. zum Ausweichen oder zur Flucht veranlassen.
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"Gewaltlose" Nachstellungen eines sog. "Stalkers" sind in ihrer Gesamtheit jedenfalls dann als "tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu werten, wenn sie den Tatbestand der Nachstellung im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB verwirklichen würden, sich zumindest mit bedingtem Vorsatz auch gegen die gesundheitliche Integrität des Opfers richten und auch mit Zwangswirkungen (Flucht- oder Ausweichverhalten) durch physische Präsenz des Nachstellers (Auflauern, Verfolgen, Festhalten des Opfers) verbunden sind.
Dem Entschädigungsanspruch steht nicht entgegen, dass die Handlungen vor dem 31. März 2007 begangen wurden und daher wegen des absoluten Rückwirkungsverbotes nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB nicht als strafbare Nachstellungen im Sinne von § 238 StGB bestraft werden könnten. Bei der opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung sind vielmehr auch die zwischenzeitlichen Rechtsentwicklungen zu berücksichtigen.
Ob Nachstellungshandlungen, bei denen der Nachsteller ausschließlich postalisch, durch elektronische Medien oder telefonisch Kontakt mit dem Opfer aufnimmt und eine Konfrontation des Opfers mit seiner physischen Präsenz unterlässt, als "tätlicher Angriff" betrachtet werden können, bleibt offen.
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 07.05.2010
Quelle: ra-online, LSG Niedersachsen-Bremen
- Sozialgericht Bremen, Urteil
[Aktenzeichen: S 3 VG 37/05]
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Dokument-Nr. 9619
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