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Verwaltungsgericht Kassel, Urteil vom 28.02.2018
- 1 K 2514/17.KS -
Beamtin der Stadt darf während der Dienstzeit Kopftuch tragen
Eingriff in Glaubens- und Bekenntnisfreiheit durch Kopftuchverbot unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt
Das Verwaltungsgericht Kassel hat entschieden, dass es einer Beamtin der Stadt gestattet ist, während der Dienstzeit ein Kopftuch zu tragen.
Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens, die bei der Stadt im gehobenen nichttechnischen Dienst beschäftigt ist, ist in der Abteilung Allgemeine Soziale Dienste (Sachgebiet wirtschaftliche Jugendhilfe - Erziehungshilfe) des Jugendamtes der Stadt tätig. Dort ist sie eingebunden in die Bewilligung von Jugendhilfen für Kinder und Jugendliche aus problematischen Familienverhältnissen. Seit ca. sechs Jahren trägt die Klägerin als Ausdruck ihrer individuellen Glaubenszugehörigkeit ein
Stadt verweist auf Neutralitätspflicht für Beamte
Mit Bescheid vom 20. Mai 2016 lehnte die beklagte Stadt den Antrag ab. Sie berief sich auf die Neutralitätspflicht für
Parteien streiten über Umfang des Publikumsverkehrs
Am 30. März 2017 erhob die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trug sie vor, dass sie kaum Publikumsverkehr habe. Der Kontakt der Sachbearbeiter der wirtschaftlichen Jugendhilfe zu den Antragstellern erfolge überwiegend über die Sozialarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes. Im Übrigen verlaufe die Kommunikation in der Regel über Telefon oder per E-Mail. Die Jugendhilfe habe tägliche Öffnungszeiten von einer Stunde. Jeder Sachbearbeiter habe im Schnitt ein bis drei Vorsprachen pro Woche. Zumeist gehe es darum, Bargeld abzuholen oder Unterlagen einzureichen. Es sei zudem nicht auf jegliches Publikum abzustellen, das die Klägerin irgendwie wahrnehmen könnte, sondern nur auf dasjenige, das gezielt mit ihr in Kontakt trete. Die Stadt hielt dem entgegen, dass in der Abteilung der Klägerin täglich eine Stunde Sprechstunde sei, zusätzlich 1,5 weitere Stunden am Mittwochnachmittag. Darüber hinaus seien die Öffnungszeiten montags bis donnerstags von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr und freitags von 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr. Die Publikumskontakte fänden direkt mit den Sachbearbeitern und nicht über die Sozialarbeiter statt. Die Kommunikation erfolge nicht hauptsächlich über E-Mail oder Telefon, da gerade bei der wirtschaftlichen Jugendhilfe umfangreiche Dokumente abgegeben werden müssten. Die Klägerin sitze in einem Doppelzimmer mit offener Verbindungstür zum Nachbarzimmer. Alle Mitarbeiter hätten Kundenkontakt und empfingen die Bürger während der Öffnungszeiten und bearbeiteten deren Anträge, dies auch in Vertretung. Eine Reduzierung der Sprechstunde komme nicht in Betracht. Die Klägerin sei im Rahmen ihres Tätigkeitsbereichs eine Repräsentantin der Beklagten und nehme
Konkrete Gefahr für Schutzgut der staatlichen Neutralität oder Grundrechte Dritter nicht gegeben
Das Verwaltungsgericht Kassel gab der Klage mit der Begründung statt, dass die Voraussetzungen des § 45 S. 1 und 2 HBG, auf den die Beklagte die ablehnende Entscheidung gestützt hat, nicht erfüllt seien. Da das Verbot, ein
Beeinträchtigung des Vertrauens in Neutralität der Amtsführung möglich - Eingriff in Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin aber schwerwiegender
Vor diesem Hintergrund erscheine eine Beeinträchtigung der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Bürger, die mit der
Anhaltspunkte für konkrete Gefährdung staatlicher Neutralität im Tätigkeitsbereich der Klägerin nicht ersichtlich
Die Beklagte habe der Klägerin zwar eine anderweitige Verwendungsmöglichkeit in Aussicht gestellt. Die Dienstpflichten hinsichtlich des islamischen Kopftuchs stellten sich allerdings nicht lediglich als innerorganisatorische Maßnahme dar, sondern berührten die Individualsphäre der Klägerin erheblich. Demgegenüber sei der mittelbare Eingriff in die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Bürger von geringerem Gewicht, da der Staat das von der Klägerin zur Schau gestellte religiöse Symbol lediglich toleriere und sich nicht erkennbar hiermit identifiziere oder das Verhalten der Klägerin anderweitig positiv werte. Die abstrakte Gefahr der Beeinträchtigung der staatlichen
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© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 04.05.2018
Quelle: Verwaltungsgericht Kassel/ra-online
- Kopftuchtragen kein Hindernis für Einstellung als Beamtin in den allgemeinen Verwaltungsdienst
(Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 08.11.2013
[Aktenzeichen: 26 K 5907/12]) - Rechtsreferendarin darf juristischen Vorbereitungsdienst mit Kopftuch antreten
(Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 13.04.2017
[Aktenzeichen: 9 L 1298/17.F])
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Dokument-Nr. 25868
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