Hier beginnt die eigentliche Meldung:
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 10.06.2014
- 2 BvE 4/13 -
Bundestagswahlkampf 2013: Bundespräsident Joachim Gauck durfte NPD-Anhänger als "Spinner" bezeichnen
Organklage der NPD gegen den Bundespräsidenten zurückgewiesen
Das Bundesverfassungsgericht hat einen Antrag der NPD gegen den Bundespräsidenten wegen Äußerungen während der Zeit des Bundestagswahlkampfes 2013 zurückgewiesen. Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Hierbei hat er die Verfassung und die Gesetze zu achten, darunter auch das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit. Einzelne Äußerungen des Bundespräsidenten können jedoch gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe und damit willkürlich Partei ergreift. Dies war vorliegend nicht der Fall.
Im August 2013 nahm der Antragsgegner an einer Gesprächsrunde vor mehreren hundert Berufsschülern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren in einem Schulzentrum in Berlin-Kreuzberg teil. In der unter dem Motto „22.09.2013 - Deine Stimme zählt!“ stehenden Veranstaltung wies der Antragsgegner unter anderem auf die Bedeutung von freien Wahlen für die Demokratie hin und forderte die Schülerinnen und Schüler zu sozialem und politischem Engagement auf. Auf die Frage einer Schülerin ging der Antragsgegner auch auf Ereignisse ein, die mit den Protesten von Mitgliedern und Unterstützern der Antragstellerin gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf in Zusammenhang standen. In der Presseberichterstattung über die Veranstaltung wurden die Aussagen des Antragsgegners zitiert: „Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Dazu sind Sie alle aufgefordert“ und „Ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen“.
Äußerungen des Bundespräsidenten von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden sind und daher die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Wahrung der
Ausgestaltung der Repräsentations- und Integrationsaufgaben bleibt Bundespräsident selbst überlassen
Der
Bundespräsidenten muss Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit achten
Das Handeln des Bundespräsidenten findet seine Grenzen in der Bindung an die Verfassung und die Gesetze. Zu den vom Bundespräsidenten zu achtenden Rechten gehört das Recht politischer Parteien auf
Gestaltung der Amtsführung und Wahrnehmung seiner Integrationsfunktion bleibt ausschließlich Bundespräsidenten überlassen
Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Äußerungen des Bundespräsidenten, die die
Nach diesem Maßstab sind die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners nicht zu beanstanden.
Bundespräsident war zum Hinweisen auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und zum Aufruf zum politischen Meinungskampf befugt
Soweit die Antragstellerin sich in ihren Rechten dadurch verletzt sieht, dass der Antragsgegner Proteste gegen die Antragstellerin in Berlin-Hellersdorf öffentlich unterstützt habe, bleibt der Antrag ohne Erfolg. Dass der
Verwendung des Wortes "Spinner" im vorliegenden Fall zulässig
Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Verwendung des Wortes „Spinner“ im konkreten Zusammenhang. Der Antragsgegner hat damit über die Antragstellerin und ihre Anhänger und Unterstützer ein negatives Werturteil abgegeben, das isoliert betrachtet durchaus als diffamierend empfunden werden und auf eine unsachliche Ausgrenzung der so Bezeichneten hindeuten kann. Hier indes dient, wie sich aus dem Duktus der Äußerungen des Antragsgegners ergibt, die Bezeichnung als „Spinner“ - neben derjenigen als „Ideologen“ und „Fanatiker“ - als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale - nationalistische und antidemokratische - Überzeugungen vertreten. Die mit der Bezeichnung als „Spinner“ vorgenommene Zuspitzung sollte den Teilnehmern an der Veranstaltung nicht nur die Unbelehrbarkeit der so Angesprochenen verdeutlichen, sondern auch hervorheben, dass sie ihre Ideologie vergeblich durchzusetzen hofften, wenn die Bürger ihnen „ihre Grenzen aufweisen“. Indem der Antragsgegner, anknüpfend an die aus der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus zu ziehenden Lehren, zu bürgerschaftlichem Engagement gegenüber politischen Ansichten, von denen seiner Auffassung nach Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen und die er von der Antragstellerin vertreten sieht, aufgerufen hat, hat er für die dem Grundgesetz entsprechende Form der Auseinandersetzung mit solchen Ansichten geworben und damit die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen negativer öffentlicher Äußerungen über politische Parteien nicht überschritten.
Werbung
© kostenlose-urteile.de (ra-online GmbH), Berlin 10.06.2014
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
Jahrgang: 2014, Seite: 2563 NJW 2014, 2563
Urteile sind im Original meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst kostenlose-urteile.de alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Dokument-Nr. 19341
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://www.kostenlose-urteile.de/Urteil19341
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.
Senden Sie uns diese Entscheidungen doch einfach für kostenlose-urteile.de zu. Unsere Redaktion schaut gern, ob sich das Urteil für eine Veröffentlichung eignet.